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Die Prinzlinge

Die Prinzlinge

Von Christoph Giesen, Alexa Olesen

Manche von ihnen haben in der Privatwirtschaft Milliarden verdient, andere leiten große Banken oder sitzen in Ministerien. Sogar Staatspräsident Xi Jinping ist einer von ihnen. „Taizidang“ nennen die Chinesen die kleine Elite, die sie regiert. Taizidang – Prinzlinge. Der rote Adel Chinas.

Sie walten an den Schaltstellen der Macht, aufgewachsen im Glauben, ihnen gehöre das Land. Sie sind auf die besten Schulen und Universitäten gegangen, haben Karrieren in der Partei begonnen, immer protegiert: erst von der eigenen Familie und – wenn diese aus der aktiven Politik ausgeschieden ist – von Kadern, die zuvor unter dem Schutz der Eltern standen. Was sie eint, ist ihr Hang zum Geld.

Das zeigen auch die Panama Papers, die die Süddeutsche Zeitung gemeinsam mit Medien aus aller Welt ausgewertet hat. In den Dokumenten, die eine anonyme Quelle der SZ zugespielt hat, tauchen mindestens acht dieser Prinzlinge auf; ihre Verwandten waren oder sind Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Politbüros, Chinas mächtigstem Gremium. Alle acht sind in Offshore-Geschäfte verwickelt.

Spuren zur Familie von Präsident Xi Jinping

Diese Konstruktionen sind nicht unüblich in China. Lange Zeit durften zum Beispiel Unternehmen aus Taiwan nicht direkt in der Volksrepublik investieren, da Peking Taipeh nicht anerkennt. Die Standardlösung ist eine Offshore-Gesellschaft mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln, die stattdessen das Geschäft macht.

Auch chinesische Unternehmer nutzen diese Strukturen, weil es in der Volksrepublik kaum Rechtssicherheit gibt. Wer Firmenanteile vor dem Zugriff der Partei schützen möchte, hat die Muttergesellschaft im Ausland registrieren lassen. Selbst staatstreue Unternehmen wie der Internetkonzern Alibaba haben ihren offiziellen Firmensitz in die Karibik verlegt. Bei diesen Unternehmen kann man allerdings in den Geschäftsberichten nachlesen, wer Geschäftsführer ist oder wer Anteile hält.

Die acht Prinzlinge aus den Panama Papers jedoch haben Geheimgesellschaften gegründet. Mutmaßlich, um Teile ihres Reichtums zu verstecken – oder um verdeckt in China investieren zu können.

In den Panama-Daten finden sich Spuren zur Familie von Präsident Xi Jinping und zu Li Xiaolin, der Tochter des ehemaligen Premierministers Li Peng. Besonders spannend ist die Geschichte von Bo Xilai, dem ehemaligen Parteichef von Chongqing, dessen Fall 2012 die Kommunistische Partei in eine schwere Krise stürzte. Auch er ist ein Prinzling, allerdings einer, der tief gestürzt ist: 2013 wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt, ebenso wie kurz zuvor seine Ehefrau Gu Kailai.

Ein Schälchen Gift und Tee

Den Hinweis darauf, die Geschichte dieses Paares neu zu recherchieren, ergab sich erst aus den Panama Papers. Darin fand sich eine Firma namens Russell Properties S.A., die auf den Namen des französischen Architekten Patrick Henri Devillers eingetragen war. Als Verbindung zu Chinas Elite stellte sich eine Adresse in Peking heraus – ein Wohnblock, in dem auch Gu Kailai lebte. Bekannt war, dass der Franzose ein guter Freund von Gu Kailai war. Die SZ wertete daher als erstes internationales Medium die Gerichtsakten sowohl des ersten Prozesses als auch der Berufungsverhandlung gegen Gus Ehemann Bo aus. Zusammen mit den Informationen aus den Daten von Mossack Fonseca ergibt sich ein wahrhaftiger Politthriller.

Es war Sonntag, der 13. November 2011, als Gu Kailai in einem Drei-Sterne-Hotel der südchinesischen Metropole Chongqing in einem Schälchen Gift und Tee mischte. Auf dem Hotelbett lag ein betrunkener Mann. Gu träufelte ihm das Gift in den Mund und wartete, bis sein Puls nicht mehr zu spüren war. Dann verließ sie das Zimmer und hängte das „Bitte nicht stören“-Schild an die Klinke. Erst zwei Tage später entdeckten Hotelmitarbeiter den Toten: Neil Heywood, britischer Staatsbürger. Als Todesursache wurde Herzversagen angegeben, eine Autopsie fand nicht statt. Die Leiche wurde rasch eingeäschert.

Die Familie Bo hatte ein dunkles Geheimnis. Und Gu Kailai war offenbar bereit, alles zu tun, um es wahren. Sie ermordete Heywood, weil der sie erpresst habe, sagte sie später vor Gericht. Womit genau, welches System sie schützen wollte, offenbaren nun die Panama Papers.

Eine Villa oberhalb von Cannes, sechs Schlafzimmer, 2,3 Millionen Euro

Im Herbst 2011 sah alles danach aus, als werde Gu Kailais Gatte Bo Xilai ein Jahr später in den Ständigen Ausschuss des Politbüros einziehen, Chinas innersten Machtzirkel. Im Jahr 2007 war Bo vom Posten des Handelsministers als Statthalter der Partei nach Chongqing versetzt worden. Der 30-Millionen-Metropole am Jangtse verordnete er eine spät-maoistische Kampagne, bald sprach man in ganz China über ihn. Bo Xilai inszenierte sich als schärfster Korruptionsbekämpfer des Landes, ließ die Bürger Revolutionslieder singen, und überall in der Stadt wurden roten Fahnen gehisst. Dem Regionalfernsehen untersagte er, Werbung auszustrahlen. Bo Xilai – ein Mann mit Moral, der die Werte der Partei hoch hielt. Stimmte das?

Im Sommer 2000 hatte seine Partnerin Gu Kailai die Idee, an der französischen Riviera die Villa Fontaine Saint Georges zu kaufen: Traumlage oberhalb von Cannes, sechs Schlafzimmer, 2,3 Millionen Euro teuer. Im September 2000 ließ Gu Kailai nach Überzeugung der chinesischen Richter gemeinsam mit dem Architekten Devillers die Firma Russell Properties S.A. auf den Britischen Jungferninseln registrieren. Gu Kailai und Devillers hielten demnach je 50 Prozent an der Firma, wobei Gu Kailai als sogenannte Begünstigte eingetragen worden sei. Aus den Panama Papers geht hervor, dass als Geschäftsführer Scheindirektoren mit Sitz auf der Kanalinsel Jersey bestimmt worden waren.

Gu Kailai wurde zur Mörderin

Das ist der typische Mechanismus, um die wahren Eigentümer zu verschleiern. Doch das reichte Gu Kailai offenbar nicht, sie wollte noch mehr Schutz. Um keinen Preis sollte ruchbar werden, dass sie Millionen im Ausland investierte, zumal es nicht ihr eigenes Geld war. Der Kaufpreis für die Immobilie stammte von Xu Ming, einem chinesischen Milliardär, der reich geworden war im Gefolge ihres Mannes. Er hatte, als Bo Xilai Bürgermeister der Hafenstadt Dalian war, dort auffällig viele Bauaufträge erhalten. Geschäftsleute bewegen sich in China oft im Windschatten der Macht. Sie zahlen die Rechnungen der Kader oder übernehmen Studiengebühren für deren Nachwuchs im Ausland. Im Gegenzug bekommen sie Aufträge zugeschanzt.

Laut Gerichtsakten überwies Xu Ming im Herbst 2000 für einen fingierten Import-Export-Deal 3,2 Millionen Dollar ins Ausland, um die chinesischen Devisen-Gesetze zu umgehen. Das Geld floss an eine Firma in den USA, die es weiterleitete. Waren wurden nie geliefert. Doch statt die Immobilie in Frankreich direkt in bar zu kaufen, zahlten Devillers und Gu das Geld von Xu auf einem Konto bei der britischen Bank Lloyds ein. Im Gegenzug gewährte ihnen das Institut einen Kredit über 2,3 Millionen Euro. So funktioniert Geldwäsche. Mit dem Geld kaufte dann eine weitere Offshore-Firma, die Fontaine St Georges Residence S.A., 2001 die Villa. Die Anteile an dieser Firma hielt wiederum die Russell Properties S.A. – der Briefkasten von Devillers und Gu Kailai. So weit, so verschwiegen.

Doch dann weihte Gu Kailai, wie sie 2013 im Zeugenstand erzählte, den Briten Neil Heywood ein. Er sollte die Villa verwalten und helfen, sie regelmäßig zu vermieten. Der Brite war der Familie geschäftlich und freundschaftlich verbunden. Er unterstützte den Sohn von Bo Xilai und Gu Kailai als dieser auf eine Privatschule in London ging und in Oxford studierte. Doch dann gab es Streit. Weil ein anderes Geschäft fehlschlug, gab Gu Kailai vor Gericht an, habe Heywood versucht, sie zu erpressen. Entweder er bekomme Geld oder die Geheimkonstruktion um die Traumvilla fliege auf. Gu Kailai wurde zur Mörderin.

Die chinesischen Behörden wussten das freilich nicht. Aufgeflogen ist alles deshalb, weil der Polizeichef von Chongqing, der den Mord zunächst vertuscht hatte, im Frühjahr 2012 ins amerikanische Generalkonsulat in Chengdu flüchtete und auspackte. Wenige Monate später wurde Gu Kailai zum Tod verurteilt, wobei das Strafmaß später in lebenslange Haft umgewandelt wurde. 2013 folgte das Urteil gegen ihren Mann: lebenslange Haft.

Abschrecken lässt sich davon kaum jemand in China. Die Geschäfte von Mossack Fonseca laufen gut. In der Volksrepublik ist die Firma seit 2003 aktiv, unterhält acht Büros, so viele wie sonst nirgendwo. Dazu kommt noch eine Filiale in Hongkong. Mithilfe der Dienstleistung dieser Experten lassen sich die chinesischen Devisenregeln umgehen. Laut Gesetz dürfen pro Jahr umgerechnet nur 50 000 Dollar außer Landes gebracht werden. Offshore können hingegen Millionen verschoben werden.

Seit Xi Jinping im Herbst 2012 die Macht in China übernommen hat, fährt er einen strikten Anti-Korruptionskurs. Hunderttausende Kader haben bereits ihren Job verloren; die bei den Beamten so beliebten Einladungen zu teuren Abendessen verbot der Präsident. Xi kämpft gegen die Korruption in den niedrigen Rängen – von der Propaganda werden sie „Fliegen“ genannt – genauso wie gegen die Tricks der Großen, die Millionen zur Seite gebracht haben; die „Tiger“, wie Xi sie schimpft. Wie inkonsequent sein Kampf ist, zeigt aber, dass immer wieder sein eigener Schwager mitmischt: Deng Jiagui.

Der Mann, der den Deal einfädelte, war wieder der Schwager des heutigen Präsidenten

Im Sommer 2012 veröffentlichte die Nachrichtenagentur Bloomberg einen Bericht über die Finanzen der Familie Xi. Mehrere Hundert Millionen Dollar haben demnach Xis Verwandte mit Firmenbeteiligungen und Immobiliendeals angehäuft. Das größte Vermögen gehörte Deng Jiagui. Bloomberg bezog sich damals auf öffentlich zugängliche Daten wie etwa Handelsregisterauszüge. Dennoch war die Reaktion der chinesischen Führung auf die Veröffentlichung für Bloomberg verheerend. Die Webseite ist in China bis heute gesperrt. Lange Zeit konnte Bloomberg keine Korrespondenten mehr entsenden. Auch finanziell war der Schaden groß: Der Verkauf der Banken-Terminals, mit denen der Finanzdienstleister mehr als 80 Prozent seines Geschäfts macht, brach in China ein. Die Staatsbanken hatten Bloomberg-Verbot. Im April 2015 legte die New York Times nach. Xis Verwandte kauften sich demnach frühzeitig bei einer Firma des reichsten Chinesen, Wang Jianlin, ein und stießen die Aktien später mit einem Millionengewinn wieder ab. Der Mann, der den Deal einfädelte, war wieder der Schwager des heutigen Präsidenten. Bereits bei der Offshore-Leaks-Recherche, in deren Zug internationale Medien, auch die Süddeutsche Zeitung, vor drei Jahren Hunderttausende Datensätze etlicher Steueroasen ausgewertet hatten, tauchte sein Name auf. Nach den entsprechenden Veröffentlichungen sperrte die chinesische Internet-Polizei die Webseiten der beteiligten Medien.

Nun finden sich in den Panama Papers drei weitere Geheimfirmen, die dem Präsidenten-Schwager Deng offenbar zumindest vorübergehend gehörten: Supreme Victory Enterprises, Best Effect Enterprises Ltd. und Wealth Ming International Limited. Wozu sie dienten? Entsprechende Anfragen ließ Deng unbeantwortet.

Mossack Fonseca ist eigentlich dazu verpflichtet zu überprüfen, mit wem sie Geschäfte machen und für wen sie Offshore-Gesellschaften einrichten. Vor allem für die sogenannten Peps – „politisch exponierte Personen“ – gelten scharfe Regeln. So soll vermieden werden, dass zum Beispiel Familien von hochrangigen Politikern Schmiergeld ins Ausland schaffen.

Bei Mossack Fonseca nimmt man diese Vorschrift aber offenbar nicht so genau. Deng Jiagui, dessen Schwager Xi Jinping beim Kauf von Best Effect Enterprises und Wealth Ming International immerhin bereits Vize-Präsident von China und Mitglied des Ständigen Ausschusses war, fand trotzdem Eingang auf die Klientenliste.

Eine einflussreiche rote Prinzessin

Genauso wie Jasmine Li. Mit chinesischem Namen heißt sie Li Zidan, sie ist die Enkelin von Jia Qinglin, einem der mächtigsten Männer Chinas. Ende 2010 kaufte die damals 18-jährige Jasmine Li laut den Panama Papers die Offshore-Firma Harvest Sun Trading Limited für einen Dollar. Kurz zuvor hatte sie ihr Studium an der amerikanischen Stanford-Universität aufgenommen. Verkäufer war der Shanghaier Unternehmer Zhang Yuping, der „Uhrenkönig“, weil niemand dort mehr Nobel-Chronografen verkauft als er. 2009 erwarb er Harvest Sun und spekulierte mit der Firma an der Hongkonger Börse.

Hat Jasmine Li davon profitiert? Hat der „Uhrenkönig“ ihr eine reich gefüllte Spardose in der Karibik überlassen, für einen symbolischen Dollar? Zhangs Anwälte bestreiten das: Harvest Sun habe zum Zeitpunkt des Eigentümerwechsels keine Werte enthalten. Zudem sei es Zufall, dass Zhang an Jasmine Li verkaufte habe, Geschäftsbeziehungen zwischen den beiden habe es zuvor auch nicht gegeben. Jasmine Li antwortete nicht auf eine SZ-Anfrage.

Eindeutig belegbar ist jedoch durch die Panama Papers, dass Jasmine Lis Offshore-Firma in China investierte. Während sie Vorlesungen in Stanford besuchte, wurden in Peking mindestens zwei Unternehmen verdeckt gegründet, deren gemeinsame Muttergesellschaft die Offshore-Firma Harvest Sun Trading Limited ist. Inzwischen arbeitet Li in der Hongkong bei einem internationalen Kunsthändler.

In Hongkong hat auch Li Xiaolin, die vielleicht einflussreichste rote Prinzessin, ihren Wohnsitz. Sie ist die Tochter des ehemaligen chinesischen Premierministers Li Peng, der 1989 mitverantwortlich dafür war, dass Panzer den friedlichen Studentenprotest auf dem Platz des Himmlischen Friedens niederwalzten. Li, die statt in die Politik in die Wirtschaft ging, investierte in Wasserkraftwerke und ist heute mit einem geschätzten Vermögen von 550 Millionen Dollar eine der reichsten Frauen Chinas.

Einen Teil des Geldes scheint Li in die Schweiz verschoben zu haben. Die Panama Papers zeigen, dass sie über eine Anwaltskanzlei in Genf, gemeinsam mit ihrem Mann Liu Zhiyuan, Eigentümerin der Firma Cofic Investments Limited auf den Britischen Jungferninseln wurde. Das Offshore-Unternehmen existierte bereits 1994, als ihr Vater noch chinesischer Ministerpräsident war. Cofic sollte Konten in der Schweiz verwalten – bei der UBS und Miles Investrust S.A., einer Privatbank, die inzwischen zur Hyposwiss gehört. Über eine andere Offshore-Firma, die von derselben Kanzlei auf Li Xiaolin übertragen wurde, unterhielt sie zudem ein Konto bei der HSBC in Genf. Vorübergehend lagerten dort mindestens 2,4 Millionen Dollar. Die Genfer Kanzlei teilte dazu auf Anfrage lediglich mit, dass sie sich zu Mandanten grundsätzlich nicht äußere.

Li Xiaolin und ihr Mann ließen von den Anwälten gleich mehrere Sicherheitsstufen einbauen, um die Konten zu verbergen. Bis 2009 war als Eigentümer von Cofic Investments laut Mossack-Daten kein Name eingetragen, sondern ein sogenannter „Bearer“: Es handelt sich dabei um eine anonyme Inhaberaktie; wer sie besitzt, dem gehört die Firma – um wen es sich jedoch handelt, muss nicht ausgewiesen werden.

Viele sind ihnen gefolgt.