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Putins beste Freunde

Putins beste Freunde

Von Petra Blum, Frederik Obermaier und Bastian Obermayer

Der russische Musiker Sergej Roldugin ist ein Rätsel. Er hat eine ordentliche Künstlerbiografie, ist ausgebildeter Cellist, offenbar ein recht guter sogar: Geschult am Konservatorium von Leningrad, spielte er später im Sankt Petersburger Mariinski-Theater das erste Cello und gab Konzerte in vielen Ländern, auch in Deutschland. Dann leitete er das Sankt Petersburger Konservatorium. Er bekam Auszeichnungen, 1980 etwa den dritten Preis beim Internationalen Prager Frühlings-Festival. Heute führt er das von ihm gegründete Music House in Sankt Petersburg, eine Eliteschule für russische Solomusiker. Eben ein ordentliches, aber auch kein besonders aufregendes Künstlerleben.

Würde Sergej Roldugin nicht, wie er in einem Interview der New York Times erzählte, gelegentlich interessante Privatkonzerte geben: bei Wladimir Putin zu Hause.

Wäre er nicht ein enger Freund des russischen Präsidenten.

Wäre er nicht wahrscheinlich sogar: Putins bester Freund.

Schon ohne die Verbindung des Cellisten zu Putin wäre der Fund in den Daten der Panama Papers zumindest erstaunlich. Ein Geschäftsmann, sagte Roldugin einmal, sei er nicht. Und doch taucht sein Name in den Dokumenten immer wieder in Verbindung mit gleich mehreren Firmen auf. Er wird als Eigentümer genannt, man findet eine Kopie seines Passes in den Unterlagen, mehrere Dokumente tragen offensichtlich Roldugins Unterschrift.

Die Daten zeigen auch, dass offenbar viele Millionen US-Dollar an Roldugins Briefkastenfirmen geflossen sind, die im Zentrum eines Netzes von Offshore-Firmen sitzen. Die Firmen in diesem Netzwerk besaßen demnach Aktienoptionen für einige der wichtigsten Konzerne Russlands, über sie flossen offenkundig Kredite in dreistelliger Millionenhöhe, und es wurden seltsame Geschäfte abgewickelt. Binnen weniger Jahre wurden, das zeigen die Daten, rund zwei Milliarden Dollar durch dieses Offshore-Geflecht geschleust.

Der Künstler, der Staatschef und das versteckte Geld: Was es damit auf sich hat, ist wohl die spektakulärste Geschichte, die sich in den 2,6 Terabyte Daten des Offshore-Providers Mossack Fonseca (Mossfon) finden lässt.

Schon seit Jahren wird spekuliert, dass Putin über ein geheimes Vermögen verfügen könnte. Doch noch nie führte die Spur des Geldes so nah an Putin heran wie durch die Panama Papers.

Das Foto

Patenonkel Sergej Roldugin, Musiker und Offshore-Netzwerker, bei der Taufe von Ljudmila und Wladimir Putins erster Tochter Maria; daneben eine unbekannte Frau (v. r.).
Foto: SZ/privat
Patenonkel Sergej Roldugin, Musiker und Offshore-Netzwerker, bei der Taufe von Ljudmila und Wladimir Putins erster Tochter Maria; daneben eine unbekannte Frau (v. r.).

Die Aufnahme ist schwarz-weiß und etwas pixelig, deswegen auch irgendwie anrührend. Es ist Familienfoto von 1985 und zeigt offenbar die Szene einer Taufe. Sankt Petersburg hieß damals noch Leningrad, und Russland war noch Teil der Sowjetunion und wurde regiert von Michail Gorbatschow. Sergej Roldugin, schwarzer Anzug, gestreifte Krawatte, volles Haar und fester Blick, posiert für die Kamera mit zwei Frauen und einem hageren Mann, der etwas misstrauisch schaut und ein Kind im Arm hält. Dieser andere Mann war zu jener Zeit ein unbedeutender KGB-Offizier. Sein Name: Wladimir Putin. Das Foto zeigt die Taufe seiner ersten Tochter Maria.

Der Musiker Roldugin ist Taufpate von Maria. Er ist ein enger Freund Putins, seit fast vierzig Jahren und wohl bis heute – laut Newsweek sogar sein „bester Freund“.

Der rätselhafte Cellist – kein Oligarch, kein Politiker – steht im Zentrum einer atemberaubenden Geschichte, die in den internen Unterlagen des Offshore-Dienstleisters Mossack Fonseca, den Panama Papers, versteckt liegt. Sie legen nahe, dass ein großes Vermögen in ein Netz von geheimen Offshore-Firmen geflossen ist, und, dass Millionen aus diesem Topf nicht nur an Wladimir Putins engsten Zirkel gingen, sondern offenbar auch dessen Familie davon profitierte. So spricht viel dafür, dass mit einem Teil dieses Geldes die Immobilie finanziert worden ist, in der im Februar 2013 die pompöse Hochzeit von Putins zweiter Tochter Katerina stattgefunden haben soll.

Die Putin-Clique

Die Anfänge dieser Geschichte aber liegen im Jahr 1985. Der junge Familienvater Wladimir Putin wird kurz nach der Taufe Marias vom sowjetischen Geheimdienst KGB als Agent in die DDR versetzt, nach Dresden. Dort kommt Katerina zur Welt. Erst nach dem Untergang der Sowjetunion kehrt Putin nach Sankt Petersburg zurück, und zwar, wenn man seinen westlichen Biografen glauben darf, traumatisiert durch die Tatenlosigkeit, mit der das neue Russland seinen Bedeutungsverlust akzeptiert.

In Sankt Petersburg beginnt sein Aufstieg: Aus dem KGB-Mann wird der Assistent des Bürgermeisters, dann dessen Stellvertreter, dann der Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB, dann der Premier. Im Jahr 2000 wird Putin Präsident. 16 Jahre später herrscht er mächtiger denn je.

Im Januar dieses Jahres hat Adam Szubin, im US-Finanzminsterium für Terrorismus und Finanzermittlungen zuständig, Putin in einem Interview mit der BBC als „korrupt“ bezeichnet. Tatsächlich ging schon Putins politischer Aufstieg einher mit ähnlichen Vorwürfen. Als Putin Anfang der 1990er-Jahre Vizebürgermeister von Sankt Petersburg war, warf ihm ein Ausschuss des Stadtrats vor, Freunden und Bekannten Ausfuhrlizenzen erteilt zu haben – ohne dass vereinbarte Gegenleistungen erbracht worden wären. Wegen einer Firma, die er für einen befreundeten Oligarchen gegründet haben soll, kam es angeblich zu derart heftigen Auseinandersetzungen mit kriminellen Gangs, dass Putin seine Töchter Maria und Katerina in Sicherheit brachte, nach Deutschland.

Gegen mehrere Mitarbeiter einer Immobilienfirma wiederum, in deren Beirat Putin bis 2000 saß, wurde später von deutschen und Liechtensteiner Behörden ermittelt. Wie der Spiegel 2003 berichtete, sollen nach Einschätzung der deutschen Fahnder Gewinne aus Schutzgelderpressung, Menschenhandel und Autoschiebereien über ausländische Konten, Stiftungen sowie Briefkastenfirmen geschleust worden sein. Als das ganze Ausmaß aufflog, war Putin schon Präsident. Das letzte deutsche Ermittlungsverfahren deswegen wurde 2009 wegen Verjährung eingestellt.

Im Sog von Putins steilem Aufstieg in der russischen Politik mehrte sich auch der Reichtum einer kleinen Gruppe bis dahin eher unbedeutender Leute: Kameraden, die beim KGB mit ihm gedient hatten, politische Gefährten aus der Verwaltung von Sankt Petersburg, entfernte Familienmitglieder – vor allem aber jene sieben Männer, mit denen er Mitte der 1990er-Jahre eine Genossenschaft zum Bau einer Ferienhaussiedlung vor den Toren von Sankt Petersburg gegründet hatte: die Datschen-Kooperative Osero. Dort teilten sie eine Kasse und ein Konto. So etwas schweißt zusammen.

Die Osero-Mitglieder von einst sind heute die wohl mächtigste Clique Russlands. Die meisten von ihnen sind Milliardäre.

Der US-Ökonom und Nobelpreisträger Paul Krugman beschrieb Russland unter Putin einmal als „extreme Variante des Kapitalismus der Kumpane“. Das Land sei „eine Kleptokratie, in der loyale Anhänger gigantische Summen abschöpfen“ könnten. Der Moskauer Wirtschaftswissenschaftler Wladislaw Inosemzew sagt, Russland sei zu einem neofeudalistischen System geworden: Ganz oben stehe Putin, darunter seine Freunde, die seit Beginn seiner langen Regentschaft Reichtümer anhäuften, zu Lasten des Staates. Und unten das Volk. Die US-Politikwissenschaftlerin Karen Dawisha nannte ihr 2014 erschienenes Buch zum Thema, eine detailreiche Studie, „Putins Kleptokratie“. Das US-Außenministerium sprach intern gar von einem „Mafia-Staat“, wie aus Botschaftsdepeschen hervorgeht, welche die Enthüllungsplattform Wikileaks 2010 veröffentlicht hat.

Die Panama Papers spiegeln all diese Beschreibungen wider. In den Dokumenten finden sich die Briefkastenfirmen von vielen Männern, die mit Putin in die russische Machtelite aufgestiegen sind. Der Milliardär Gennadij Timtschenko etwa, der parallel zu Putins Karriere zu einem der weltweit größten Rohstoffhändler wurde und der den Judoclub Yawara-Newa finanziert, dessen Ehrenpräsident Putin ist. Gegründet wurde der Judoclub von Arkadij Rotenberg, der wie sein Bruder Boris ein enger Putin-Freund ist. Die beiden haben aus ein paar Sankt Petersburger Tankstellen einen milliardenschweren Bau- und Industriekonzern gemacht.

Sie tauchen in den Panama Papers in Verbindung mit mehreren Offshore-Firmen auf den Britischen Jungferninseln und Zypern auf. Andere Briefkastenfirmen stehen demnach in Verbindung zu früheren KGB-Kollegen Putins, zur Ehefrau seines Pressesprechers, zu einem seiner Cousins, zu ihm nahestehenden Oligarchen.

Und all das, obwohl der russische Präsident das Offshore-System seit 2011 bei verschiedenen Gelegenheiten öffentlich als „unpatriotisch“ gegeißelt hat.

Das Vermögen

Die Gerüchte über Putins persönlichen Reichtum kursieren, seit er in Sankt Petersburg in die Politik ging. 2014 verdiente das russische Staatsoberhaupt offiziell 7,65 Millionen Rubel im Jahr – damals umgerechnet knapp 143 000 Euro. So jedenfalls stand es in seiner öffentlichen Einkommenserklärung.

Journalisten, Historiker und Ökonomen, die sich mit der Frage nach Putins Vermögen intensiver befassen, glauben indes, dass der Präsident den Kreml dereinst als vielfacher Milliardär verlassen wird. Die Schätzungen erscheinen absurd hoch: Sind es 40 Milliarden Dollar, 70 Milliarden oder gar 200 Milliarden? Diese höchste Zahl stammt von Bill Browder. Der Amerikaner war Manager von Hermitage Capital Management, einem Fonds, der einst als größter ausländischer Investor in Russland galt. Er lebte zehn Jahre im Land. Spätestens, seitdem sein Anwalt Sergej Magnitskij 2009 in einem Moskauer Gefängnis starb, ist Browder ein scharfer Putin-Kritiker. 2014 schrieb er ein Buch über sein Verhältnis zu Putin und behauptete, der Präsident sei der reichste Mann der Welt. Dem US-Sender CNN sagte Browder: „Er ist der größte Oligarch von allen.“

Die Suche nach Indizien dafür wird akribisch betrieben. Nach Recherchen des britischen Bureau of Investigative Journalism etwa wurde Putin bisher mit Uhren im Gesamtwert von 200 000 Euro fotografiert; manche Anti-Korruptionsaktivisten sprechen gar von mehr als 600 000 Euro. Bei offiziellen Anlässen trägt er etwa eine Patek Philippe Perpetual Calendar, die allein rund 60 000 Euro kostet. Ob die Uhren wirklich dem Präsidenten gehören, ob sie ihm der Kreml zur Verfügung stellt, ob er sie sich geliehen hat – das ist öffentlich nicht bekannt.

Die Vermutungen, wie Putins angeblicher Reichtum sich zusammensetzen könnte, ähneln sich: Meist heißt es, er soll über Mittelsmänner Anteile an wichtigen russischen Firmen besitzen und von Oligarchen und Staatsbanken regelmäßig schwarze Kassen befüllen lassen. Vor einiger Zeit wurde berichtet, dass in der Nähe von Sotschi am Schwarzen Meer ein Anwesen entstand, das heute bekannt ist als „Putins Palast“. Ein protziges Bauwerk im Italianate-Stil. Finanziert wurde es laut einer Recherche der Nachrichtenagentur Reuters vom Putin-Freund Nikolai Schamalow, einem seiner Datschenfreunde.

Bis heute bestreitet der Kreml, dass es sich bei dem Anwesen um Putins Besitz handelt. Als aber Umweltaktivisten versuchten, auf das Anwesen vorzudringen, weil sie annahmen, dass beim Bau des Palasts Vorschriften missachtet worden seien, wurden sie nach eigener Auskunft von Beamten der Federalnaja Sluschba Ochrany Rossijskoj Federazii (FSO) aufgehalten: dem Wachdienst der Regierung.

Den Palast haben auch der russische Aktivist Leonid Martynjuk und der im Jahr 2015 ermordete Oppositionelle Boris Nemzow in einem Report von 2012 erwähnt. Er trägt den Titel „Das Leben eines Galeeren-Sklaven“ und spielt auf eine frühere Aussage Putins an, er schufte wie ein Sklave auf einer Galeere. In Wirklichkeit, so der Schluss von Martynjuk und Nemzow, lebe Putin jedoch im Überfluss. Er verfüge über Dutzende Villen, Flugzeuge und Schiffe. Allein die Toilette in einem Flugzeug kostete angeblich ungefähr halb so viel, wie Putin in einem Jahr offiziell verdient.

Und dann wäre da auch noch die Olympia, der „Diamant der Kreml-Flotte“, eine mit edlem Mahagoniholz ausgestattete Yacht mit Whirlpool und Marmorbadezimmer. Sie soll Putin nach Medienberichten von Oligarchen um Roman Abramowitsch geschenkt worden sein – als Geste der Loyalität.

Abramowitsch hat dies stets bestritten. Laut Recherchen der russischen Zeitung Nowaja Gazeta wird die Olympia ebenfalls vom FSO bewacht.

Berichte über sein angebliches Vermögen tut Putin regelmäßig als Geschwätz ab. Auf eine detaillierte Anfrage der Süddeutschen Zeitung und des Internationalen Konsortiums für Investigative Journalisten zu den Panama Papers antwortete er nicht. Stattdessen trat kurz nach dem Eingang der Fragen sein Sprecher Dmitrij Peskow am vergangenen Montag vor russische Journalisten und erklärte, „in einer Verhörmanier verfasste Anfragen“ bekommen zu haben. Diese seien Teil einer „Informationsattacke“. Es werde versucht, die Familie des Präsidenten „informationsseitig zu treffen“. Von einer Menge Offshore-Firmen werde die Rede sein, von Unternehmern, die Putin nie persönlich gesehen habe. Peskow vermutete, nicht nur Journalisten würden hinter der „Attacke“ stecken, sondern auch „Vertreter von Spezialdiensten und anderen Organisationen“. Falls „erlogene Fakten“ veröffentlich würden, seien Klagen und Gerichtsverfahren wegen Verleumdung nicht ausgeschlossen.

Auch wegen solcher Reaktionen meiden viele russische Medien das Thema. Unter russischen Journalisten ist bekannt, dass man sich Ärger einhandeln kann, wenn man über Putins Geld schreibt. Es drohen unangenehme Steuerprüfungen, Einbrüche und Ähnliches. Der Guardian-Journalist Luke Harding, der auch an dieser Geschichte mitrecherchiert hat, führt seine Ausweisung aus Russland im Jahr 2011 auf Recherchen in diesem Bereich zurück.

Sollte Putin tatsächlich einen derart sagenhaften Reichtum angehäuft haben, wird daran kaum sein Namensschild angebracht sein. Offiziell dürften die Gelder Leuten gehören, die nicht in der Öffentlichkeit stehen, unauffälligen Mittelsmännern, denen er uneingeschränkt vertraut. Sergej Roldugin wäre so ein Mann. Dieses Muster ist Finanzexperten und Fahndern bei hochrangigen Politikern schon lang bekannt. Auch in den Panama Papers taucht der Name Putin im Zusammenhang mit den genannten Firmen nicht auf.

Der Cellist

Roldugin und Putin lernten sich, wie in mehreren Büchern nachzulesen ist, Mitte bis Ende der 70er-Jahre kennen. Roldugin erzählte in einem 2000 veröffentlichten Interviewbuch über Putin, sein ein Jahr jüngerer Freund sei wie ein Bruder für ihn gewesen. Nachts seien sie durch Sankt Petersburg gezogen, hätten gesungen und sich mit anderen jungen Leuten geschlagen. Laut den Putin-Biografen Brenda Lange und Charles J. Shields machte Roldugin seinen Freund Putin auch mit dessen späterer Ehefrau Ljudmila bekannt, von der Putin mittlerweile geschieden ist. Eine Aeroflot-Stewardess, mit der Roldugin sich getroffen habe, habe eine blonde Kollegin mitgebracht, die Roldugin im Auto bei Wolodja – Koseform für Wladimir – platziert habe. Putin heiratete Ljudmila 1983. Als zwei Jahre später Maria zur Welt kam, habe Roldugin Putins Frau und Kind vom Krankenhaus abgeholt.

Die Freundschaft der beiden Männer scheint bis heute gehalten zu haben. Roldugin ist der Einzige, dem der russische Präsident es offenbar gestattet, Journalisten Privates über ihn zu erzählen. Er machte in einem Interview nicht nur das Rückenleiden Putins öffentlich, der sich für gewöhnlich als kraftstrotzender Draufgänger inszeniert, sondern erzählte auch noch, dass Putin inzwischen Großvater sei. Offiziell wurde dies bislang nicht bestätigt.

Putin vertraut Roldugin offenbar sehr – so sehr, dass er hinter dessen unauffälliger Künstlerbiografie sogar ein mögliches Vermögen verstecken würde?

Der New York Times erklärte Sergej Roldugin im September 2014, er sei sicherlich „kein Geschäftsmann“, er besitze „keine Millionen“. Zumindest Letzteres dürfte nicht stimmen, das legen die Daten aus den Panama Papers nah.

Als Sergej Roldugin demnach im Mai 2014 im Namen einer seiner Offshore-Firmen ein Konto bei der Schweizer Gazprombank in Zürich eröffnet, fragt die Bank in einem Formular auch ab, wie viel Geld der neue Kunde besitze. Die Antwort: mehr als zehn Millionen Schweizer Franken. Dazu ein jährliches Einkommen von mehr als einer Million Schweizer Franken, das vornehmlich aus Dividenden, Zinsen und Krediten resultiere.

Zum Papierkram gehört auch ein Anti-Geldwäsche-Fragebogen – ob man etwa „in einer Beziehung zu einem VIP“ stehe, oder zu „einer politisch exponierten Person“? Banken müssen solche Fragen mittlerweile standardmäßig stellen. Denn die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte hat gezeigt, dass viele Politiker ihre delikaten Konten eben nicht auf ihren eigenen Namen laufen lassen, sondern auf den eines Familienmitglieds oder Freundes.

Der Fragebogen von Roldugin geht mit zwei Kreuzen bei „Nein“ zurück an die Bank. Der womöglich beste Freund von Wladimir Putin, der Taufpate seiner Tochter, soll in keiner Beziehung zu einer politisch exponierten Person stehen?

Das Netzwerk

Der Cellist Sergej Roldugin wurde von dem panamaischen Offshore-Dienstleister Mossack Fonseca – das belegen etliche Dokumente in den Panama Papers – als Eigentümer beziehungsweise Miteigentümer dreier Briefkastenfirmen geführt:

- der 2007 auf den Britischen Jungferninseln gegründeten Sonnette Overseas Inc.,

- der 2008 in Panama registrierten International Media Overseas S.A. und

- der 2012 auf den Britischen Jungferninseln aufgesetzten Raytar Limited.

Auf eine Anfrage der britischen Zeitung Guardian erklärte Mossack Fonseca, nicht gewusst zu haben, dass Roldugin Eigentümer der Sonnette Overseas und der International Media Overseas sei.

Über die Raytar Limited geht aus den Dokumenten nicht viel hervor. Zu den Firmen International Media Overseas und Sonnette Overseas jedoch sind in den Daten, die der Süddeutschen Zeitung zugespielt wurden, Dutzende E-Mails zu finden, außerdem Verträge, Unterlagen zu Aktiendeals und verschiedene Dokumente, die offenkundig Roldugins Unterschrift tragen. 

So findet sich eine Haftungsfreistellung von Mai 2008, die im Zusammenhang mit seiner Firma Sonnette Overseas steht, ebenso eine im März 2011 erteilte Vollmacht für zwei Mossfon-Mitarbeiterinnen. Sogar ein Pass des Musikers, ausgestellt am 5. November 2002 in Sankt Petersburg, ist enthalten.

Als russische Journalisten, die an dieser Recherche beteiligt sind, Roldugin nach einem Konzert im Moskauer Tschaikowski-Konservatorium in der vergangenen Woche darauf ansprachen, antwortete dieser, er habe mit solchen Geschäften vor der Perestroika zu tun gehabt, könne sich aber kaum erinnern und bat um schriftliche Fragen. Vor der Perestroika? Das wäre vor 1986 gewesen. Die Firmen aus den Panama Papers sind mehr als zwanzig Jahre später entstanden. Alle schriftlichen Fragen der SZ an Roldugin blieben unbeantwortet.

Roldugins Firmen International Media Overseas und Sonnette Overseas sind laut den Panama Papers eng mit zwei weiteren auf den Britischen Jungferninseln registrierten Briefkastenfirmen verbunden: mit der Sandalwood Continental Ltd. und der Sunbarn Limited. So hatten die Sonnette Overseas von Roldugin und die Sunbarn Limited zeitweise denselben Eigentümer, einen Geschäftsmann aus Sankt Petersburg. Der Eigentümer der Sandalwood Continental wiederum bekam den Panama-Papieren zufolge eine Vollmacht, mit der er für Roldugin Geschäfte tätigen und Dokumente unterschreiben hätte können. Bei diesem Mann handelt es sich ebenfalls um einen Sankt Petersburger Geschäftsmann. In einem auf Juli 2009 datierten Formular heißt es, dass er bis 2003 bei einer Strafverfolgungsbehörde gearbeitet habe.

Diese vier Offshore-Firmen könnte man das „Roldugin-Netzwerk“ nennen.

Auf das Gazprombank-Konto von Roldugins International Media Overseas sollen laut Dokumenten aus den Panama Papers Millionen-Dividenden einer weiteren Briefkastenfirma geflossen sein, die wiederum Anteile eines großen russischen Medienunternehmens namens Video International besitzt. Zur Kontoeröffnung rechneten die Verantwortlichen als Eingangszahlung mit 268,4 Millionen Rubel – umgerechnet etwa 5,6 Millionen Euro –, später sollte noch mehr kommen. Video International wollte sich auf Anfrage nicht dazu äußern.

Dieses Unternehmen war in den 1990er-Jahren von Michail Lessin gegründet worden. Lessin, der als Eigentümer einer auf den Britischen Jungferninseln gegründeten Briefkastenfirma in den Panama Papers auftaucht, war von 2004 bis 2009 Putins Medienberater. Am 5. November 2015 wurde er tot in einem Washingtoner Hotelzimmer aufgefunden.

Die Firmen aus dem Netzwerk, das geht aus den geleakten Daten hervor, handelten auch mit Kaufoptionen anderer Firmen, die wiederum Aktien an dem russischen Lada-Hersteller Avtovaz und dem Laster- und Panzerhersteller Kamaz halten. Sergej Roldugins Firma Sonnette Overseas konnte den Dokumenten zufolge, ohne Anteile an Kamaz zu besitzen, über ein komplexes Firmenkonstrukt bei wichtigen Entscheidungen des Unternehmens mitreden.

Kamaz ist für Russlands Kriegsmaschinerie fast unersetzlich. Dessen Lastwagen kamen im Ukraine-Krieg häufig zum Einsatz, etwa als weiße Trucks, die angebliche Hilfsgüter in die Ostukraine transportierten. Auch in Syrien, wo russische Bodentruppen die Armee von Diktator Baschar al-Assad unterstützen, wurden Kamaz-Laster gesichtet.

Putin-kritische Journalisten und Analysten glauben, dass sich der Präsident regelmäßig Anteile von Russlands wichtigsten Firmen zuweisen lasse. So behauptete der umstrittene Politikwissenschaftler Stanislaw Belkowskij 2007, dass Putin 37 Prozent der Öl- und Gasfirma Surgutneftegaz kontrolliere, dazu 4,5 Prozent an Gazprom halte. Näher verifizieren ließ sich bisher nichts.

Leonid Berschidskij, Gründungschefredakteur der russischen Wirtschaftszeitung Wedomosti, schrieb in einer Kolumne für die Agentur Bloomberg über Putin: „Er hat das ganze Land auf Abruf.“ Putin nehme sich schlichtweg, was er wolle, sagt Russland-Expertin Karen Daisha.


„Putins Bank“

Mit Ausnahme höchstens der Raytar Limited wurden alle Firmen des Roldugin-Netzwerks ausweislich der Panama Papers von Mitarbeitern der Sankt Petersburger Bank Rossija gesteuert. Sie gilt unter US-Experten als „Putins Bank“, als Bank seines engsten Zirkels. Sie wurde deswegen 2014, nach der Krim-Annexion, von den USA mit Sanktionen belegt. Ihr Hauptsitz, ein gelbes Gebäude im Sowjetstil, liegt an einem der schönsten Plätze der Stadt, am Rastrelli-Platz nahe dem Fluss Newa. 1990 wurde sie mit Geld der Kommunistischen Partei gegründet, etwa zu jener Zeit, als Wladimir Putin aus der DDR zurückkehrte.

Mehrere der engsten Vertrauten Putins besitzen oder besaßen Anteile an der Bank, allein fast die Hälfte gehörte zumindest zeitweise Jurij Kowaltschuk und Nikolai Schamalow, die beide Gründungsmitglieder von Putins Datschen-Kooperative Osero sind. Aber auch Sergej Roldugin gehörten zumindest bis vor Kurzem mehr als drei Prozent der Anteile. Das wurde 2010 öffentlich, ohne allerdings große Aufmerksamkeit zu erregen. Wie die Panama Papers nun erstmals zeigen, gehörten auch einer Firma aus dem Roldugin-Netzwerk – der Sandalwood – zeitweise Anteile an dem Geldhaus. Gleichzeitig gilt die Bank als Sammelbecken für wichtige Beteiligungen. So hielt das Finanzhaus die Mehrheit am zweitgrößten russischen Versicherungskonzern Sogaz, der wiederum die Gazprom-Media-Gruppe kontrolliert. Zu Letzterer gehören unter anderem die Fernsehsender NTW und TNT sowie der Radiosender Echo Moskau.

Auf die Sanktionierung der Rossija-Bank reagierte Putin prompt: Er ordnete an, dass die russische Zentralbank das Institut stützen solle. Putin selbst eröffnete demonstrativ ein Rubel-Konto bei Rossija.

Die monatelangen SZ-Recherchen zeigen, dass zwei Angestellte dieser Bank eine besondere Rolle spielen: Sie hatten demnach in einigen Fällen das Recht, Unterlagen für Roldugins Firma International Media Overseas zu unterzeichnen – auch weil Roldugin oft nicht greifbar war, wie aus einer E-Mail hervorgeht.

Das überrascht nicht bei einem Musiker, der viel auf Konzertreisen ist. Von 2014 an verschickten Bank-Rossija-Mitarbeiter E-Mails, die Firmen aus dem Roldugin-Netzwerk betreffen, teils über Tarnadressen. Damit sollte möglicherweise verschleiert werden, dass die Banker für ein sanktioniertes Unternehmen arbeiten. Eine E-Mail von Roldugin selbst ist in den Daten nicht zu finden.

So liegt die Macht über das gesamte Roldugin-Netzwerk bei der Bank Rossija. Die wahren Entscheidungen aber fallen vermutlich an anderer Stelle. Möglicherweise sogar im Kreml? Eine entsprechende Anfrage beantwortete die Bank Rossija bis Sonntag nicht.

Die Kanzlei

Als Ansprechpartner und unauffällige erste Station beim Kontakt mit Mossack Fonseca dient den Mitarbeitern der Sankt Petersburger Bank eine zwischengeschaltete Schweizer Anwaltskanzlei. Auch in der Bank Rossija scheint klar zu sein, dass eine russische Bank mit im Ausland zweifelhaftem Ruf keine gute Adresse für internationale Geschäfte ist. Mit scharfen Kontrollen sämtlicher Deals wäre zu rechnen. Ganz anders die Schweizer Anwaltskanzlei nicht weit vom Züricher Paradeplatz, wo die großen Banken sitzen. Sie scheint ideal zu sein: renommiert genug, um international mithalten zu können, und klein genug, um kein Interesse zu wecken.

Wer sich in Zürich nach dieser Kanzlei erkundigt, hört meist als Erstes von den vielen Russen, um die sie sich kümmere. Manche von ihnen seien nicht nur sehr reich, sondern auch sehr einflussreich. Tatsächlich zeigen schon vor einigen Jahren geleakte Dokumente, dass etwa der ehemalige Spitzenmanager des Erdöl-Konzerns Yukos, der Oligarch Alexeij Golubowitsch, in Geschäftskontakt mit der Kanzlei stand.

Einer der Partner der Kanzlei, die auf Anfrage nicht antwortete, reist angeblich regelmäßig nach Russland. Man hört, dass er danach gerne von der Wildschweinjagd erzählt und teuren Wodka mit nach Hause bringt. Er sei besonders stolz auf seine guten Kontakten nach Moskau, so wird es erzählt. Er habe dort Beziehungen zu Leuten vom Geheimdienst, soll er intern getönt haben, um dann hinzuzufügen: bis hoch zu Wladimir Putin.

Die Tricks

Der Sinn des Roldugin-Netzwerks scheint aber nicht nur darin zu bestehen, Beteiligungen und Aktienoptionen zu halten. Dem Anschein nach geht es auch ganz konkret darum, über die Offshore-Firmen Millionen-Summen zur Seite zu schaffen. Wichtig ist dabei, unauffällige Verwendungszwecke im Geldverkehr angeben zu können. Dafür gibt es laut Panama Papers mehrere Tricks.

Trick I: Rückdatierte Aktiengeschäfte.

Ein Beispiel aus den Mossfon-Dokumenten: Ein Rossija-Mitarbeiter bittet am 5. Juli 2011 Mossack Fonseca darum, dass die Direktoren für zwei der Firmen mehrere Aktiengeschäfte abzeichnen – ein in der Offshore-Welt an sich normales Vorgehen. Nur dass die Aktiengeschäfte bereits fünf Monate zuvor stattgefunden haben sollen, im Januar 2011. Die Direktoren sollen also rückwirkend zustimmen.

Das Prinzip dahinter funktioniert offenbar so: Die betreffenden Firmen suchen sich rückwirkend Daten zwischen Verkauf und Rückkauf von Aktien, deren Kurse laut den Dokumenten zwischen diesen beiden Daten gefallen waren. Tatsächlich gehandelt wurden die Aktien offenbar nie, aber in der Bilanz entsteht ein Gewinn.

Dieses Muster ist in den Daten etwa ein Dutzend Mal zu sehen, insgesamt gewinnen zwei Firmen, die Sandalwood und die International Media Overseas, auf diese Weise innerhalb von drei Jahren mehrere Millionen Dollar. Die Bank Rossija, deren Mitarbeiter nach SZ-Recherchen im Hintergrund die Fäden zogen, antwortete nicht auf eine Anfrage.

Trick II: Angebliche Entschädigungen.

Eine der Offshore-Firmen im Netzwerk vereinbart mit einer anderen – offensichtlich eingeweihten – Firma ein Aktiengeschäft. Diese andere Firma „scheitert“ jedoch daran, diese Anteile bereitzustellen – und muss dafür eine „Entschädigung“ zahlen. Ein Beispiel aus den Panama-Papers ist ein Geschäft der Firma Sandalwood mit einer Briefkastenfirma auf Belize. Die Entschädigung an Sandalwood beträgt in diesem Fall knapp 800 000 Dollar. Durch einen Betreff wie „Entschädigung“ enthält die Überweisung einen scheinbar eindeutigen und unverdächtigen Verwendungszweck. Ohne einen solch schlüssigen Verwendungszweck wären involvierte Banken wohl stutzig geworden. Auch hierzu äußerte sich die Bank Rossija auf Anfrage nicht.

Trick III: Angebliche Beratungshonorare.

In den Jahren 2009 und 2010 erhält eine Briefkastenfirma aus dem Roldugin-Netzwerk laut Mossfon-Daten 30 Millionen Dollar für „Beratungsleistungen“: 15 Millionen von einer Offshore-Firma namens Jabiru Consultants, 15 Millionen von einer Offshore-Firma namens Pearl Kite.

Trick IV: Hohe Zinsen für kleines Geld.

Einen besonders einträglichen Deal schließt Roldugins Firma International Media Overseas im Februar 2011 ab: Sie bekommt alle Rechte an einem 200-Millionen-Dollar-Darlehen überschrieben – für den Preis von einem Dollar. Dabei generiert das Darlehen laut dem Vertrag, der sich in den Mossfon-Unterlagen findet, Zins-Zahlungen von 21 917 Dollar täglich, was im Jahr acht Millionen Dollar macht.

Trick V: Darlehen, die offenbar nie zurückgezahlt werden.

Der aufsehenerregendste Trick könnte darin bestehen, dass eine Bank einer Briefkastenfirma immens großzügige Kreditlinien einräumt. Kreditlinien kann man sich vorstellen wie das Limit einer Kreditkarte: Bis dahin kann man problemlos Geld abrufen. Im Fall der Firma Sandalwood ist das sehr viel Geld: Allein zwischen 2009 und 2012 bekam sie laut Panama Papers Kreditlinien in Höhe von 800 Millionen Dollar gewährt; zumindest ein Teil davon wurde demnach auch abgerufen.

Das Geld kam stets von der Russian Commercial Bank (RCB) in Zypern, damals eine hundertprozentige Tochter der VTB Bank, die wiederum großteils dem russischen Staat gehört und Verbindungen zum russischen Geheimdienst haben soll. Woher die RCB solche Summen hatte, zeigen die Panama-Daten nicht. Auf eine Anfrage antwortete die Bank, sich zu Kunden oder Transaktionen nicht äußern zu können. Man halte sich aber an das Gesetz.

Ein Brancheninsider, der anonym bleiben will und dessen Identität der SZ bekannt ist, erklärte dem Guardian im Zuge dieser Recherchen, dass Putin und sein engster Zirkel die RCB zumindest in den Nullerjahren als eine Art persönlicher Kreditkarte genutzt haben sollen, was die Bank bestreitet. „Wenn einer von Putins Auserwählten oder dessen Frau Geld brauchte, sei es für einen Shopping-Trip, eine Yacht oder irgendeine andere Investition: Die RCB stellte stets die Mittel für sie zur Verfügung, ohne zu fragen“, behauptete hingegen die Quelle: „Die RCB war ein Selbstbedienungsladen der Machtelite.“ Dies könnte erklären, warum die russische Regierung in der Euro-Krise 2013 vehement gegen einen „Haircut“ Stimmung machte. Durch diese Methode sollten alle zypriotischen Bankeinlagen, auch die der RCB, gekürzt werden. „Die allerhöchste russische Führung gab uns unmissverständlich zu verstehen: Wenn wir die RCB anfassen, würden wir eine Reaktion erleben, wie wir sie noch nie gesehen haben“, sagte der Chef von Zyperns Mittepartei später in einem Radio-Interview. Die RCB wurde von der Regelung weitgehend ausgenommen.

Das ist nicht die einzige Merkwürdigkeit, die sich im Bezug auf Kredite aus den Panama Papers ergibt. So wiesen Darlehen auch an andere Firmen aus dem Roldugin-Netzwerk ungewöhnliche Konditionen auf: mal kaum Zinsen, mal keine erkennbare Rückzahlung, oder es mussten keine Sicherheiten hinterlegt werden. Experten sehen darin starke Anzeichen, dass es sich eher um Geldgeschenke als um Kredite handelte. „Anscheinend liegen diesen Transaktionen Steuerhinterziehung, Betrug und/oder andere dunkle Machenschaften zugrunde – mit dem letztendlichen Ziel der Geldwäsche“, sagt David Weber. Der Finanzexperte der Universität Maryland analysierte für diese Recherche mehrere Darlehensverträge aus dem geleakten Datenbestand.

Die Höhe der von der RCB in Aussicht gestellten Gelder ließ auch Mossack Fonseca hellhörig werden. Ende September 2009 wandte sich eine Mossfon-Anwältin per E-Mail an die drei Kanzleipartner Jürgen Mossack, Ramon Fonseca und Christoph Zollinger. Es ging um eine Übereinkunft, die von Mossfon-Scheindirektoren abgezeichnet werden sollte: Sandalwood sollte eine Kreditlinie von 103 Millionen Dollar von der RCB in Zypern bekommen – und zwar offenkundig ohne Sicherheiten, wie aus dem Darlehensertrag hervorgeht.

Sender: Jürgen Mossack

Ich denke, dass es heikel ist.

Das antwortete Jürgen Mossack in einer Mail, die sich in den Unterlagen befindet; es handle sich wohl um Gelder „zweifelhafter Herkunft und ebenso zweifelhafter Bestimmung“. Dennoch ließ Mossfon die Direktoren unterzeichnen – nachdem die Kanzlei sichergestellt hatte, dass ein Haftungsausschluss vorlag, um einen möglichen finanziellen Schaden für Mossack Fonseca zu verhindern. Auf Anfrage des Guardian erklärte die Kanzlei, sich auf den Vermittler aus „einem regulierten europäischen Gebiet“ verlassen zu haben.

Das Schattensystem

Zweifelhafte Millionen-Kreditlinien, rückdatierte Aktiengeschäfte, angebliche Beratungshonorare und Entschädigungen – all das scheint Teil eines Schattensystems zu sein. Angelegt wurde es offenbar, um innerhalb von kurzer Zeit sehr viel Geld in Offshore-Firmen verschwinden zu lassen.

Bereits 2013 hatte der damalige russische Zentralbankchef Sergej Ignatjew öffentlich erklärt, dass allein 2012 fast 50 Milliarden US-Dollar – und damit 2,5 Prozent des russischen Nationaleinkommens – außer Landes geschafft worden seien, das meiste von einer einzigen Gruppe von Leuten. Namen nannte er nicht.

Internationale Geldwäsche-Experten, mit denen die SZ die Vorgänge innerhalb des Roldugin-Netzwerks vertraulich diskutiert hat, sind sich sicher: Wer in so großem Stil Geld außer Landes schafft, ist entweder lebensmüde – oder sich des Schutzes von ganz oben sicher. Denn dass diese Geldflüsse der russischen Regierung verborgen geblieben sind, erscheint höchst unwahrscheinlich: Für das Aufspüren von Geldwäsche und anderen verdächtigen Transaktionen ist in Russland nämlich eine Behörde namens Rosfinmonitoring zuständig, die anders als die meisten vergleichbaren westeuropäischen Behörden eher einem Geheimdienst als einer Polizeieinheit ähnelt. Die russischen Geldwäsche-Fahnder können offenbar E-Mails mitlesen, Telefonate abhören und sämtliche Bankinformationen über beliebige Personen abrufen.

Das legt für die von der SZ konsultierten Geldwäsche-Experten einen Schluss nahe: Wenn die Fahnder von Rosfinmonitoring diesen Milliardenfluss nicht unterbinden, dann nicht, weil sie ihn nicht sehen – sondern weil sie ihn nicht sehen wollen.

In das Netz der Briefkastenfirmen, in deren Mittelpunkt Putins Freund Roldugin steht, floss laut Panama Papers offenbar auch Geld russischer Oligarchen. Allein im Jahr 2013 gewährten mehrere Briefkastenfirmen, die mit den Brüdern Boris und Arkadij Rotenberg in Verbindung stehen, einer Offshore-Firma im Roldugin-Netzwerk Kredite von rund 200 Millionen Dollar – und es ist in den Dokumenten nicht erkennbar, ob sie jemals zurückgezahlt wurden. Kurz zuvor hatte eine Firma Arkadij Rotenbergs den Zuschlag für das milliardenschwere, im Zuge der Ukrainekrise jedoch auf Eis gelegte Pipeline-Projekt South Stream bekommen. Auf eine Anfrage der SZ reagierten die Rotenbergs nicht.

Hochzeit im Geheimen

So verbinden sich die Spuren in den Panama-Daten und das echte Leben bisweilen zu aufschlussreichen Erkenntnissen: etwa im Februar 2013, als im Ski-Resort Igora, gut eine Stunde nördlich von Sankt Petersburg, eine prachtvolle Hochzeitfeier stattfand, wie erst Ende 2015 durch die Nachrichten-Agentur Reuters bekannt, aber vom Kreml bis heute nicht bestätigt wurde.

Das Brautpaar fuhr demnach mit einem Schlitten vor, den drei weiße Pferde zogen. Fotografieren war verboten, alle Handys der Gäste waren eingesammelt worden. „An jeder Ecke standen Wachen, sie ließen niemanden an das Fest heran“, beschrieb ein Angestellter des Igora-Resorts einem Reuters-Journalisten die Szenerie. Dafür konnten die Gäste ein nachgebautes russisches Dorf mit Künstlern und allerlei Volkstanz bestaunen, eine Eislauf- und eine Laser-Show.

Und sie bekamen mit den Initialen des Paars bestickte Schals: K & K. Sie stehen für Katerina, wie Katerina Tichonowa. So nennt sich Wladimir Putins jüngere Tochter laut Medienberichten, sie trägt den Nachnamen ihrer Großmutter. Und für Kirill Schamalow, ihren Bräutigam, Sohn von Nikolai Schamalow – Putins Freund aus der Osero-Kooperative, der „Putins Palast“ mitfinanziert haben soll.

19 Jahre nach der Gründung der Datschen-Kolonie werden der Bank-Rossija-Miteigentümer Nikolai Schamalow und Wladimir Putin damit Schwippschwäger. Als eine Art Hochzeitsgeschenk soll Kirill, der neue Putin-Schwiegersohn, mit Hilfe des Freundeskreises seiner Familie an milliardenschwere Aktienbeteiligungen gelangt sein, berichtete Reuters. Auf eine SZ-Anfrage hierzu antwortete er nicht.

Dem geheimen Fest waren einige Vorbereitungen vorausgegangen. Zum Beispiel wurde das Grundstück gekauft, auf dem die Hochzeit stattfand, das Ski-Resort Igora. Käufer war laut Grundbuchregister eine russische Firma namens Ozon LLC, die zunächst einer undurchsichtigen zypriotischen Offshore-Firma sowie – über eine weitere zwischengeschaltete Firma – zu 25 Prozent dem Putin-Vertrauten Jurij Kowaltschuk und dessen Sohn gehörte. Jurij Kowaltschuk ist ein alter Freund Putins und in den Augen der US-Regierung sein „Kassierer“. Ganz sicher aber ist er ein weiteres Osero-Mitglied. Kowaltschuk ließ über einen Anwalt mitteilen, sich nicht zu der Sachen äußern zu wollen.

Jene Ozon LLC aber, der nun das Ski-Resort gehörte, bekam den Mossfon-Dokumenten zufolge Ende 2009 einen Kredit über fünf Millionen Dollar von einer der Firmen aus dem Roldugin-Netzwerk: Sandalwood. Rund zwei Jahre später floss noch einmal fast genauso viel Geld, wieder als Kredit. Ein Jahr vor der Hochzeit kaufte die Ozon LLC dann offiziell das Igora-Grundstück. Der Kreditgeber, die Sandalwood, wurde im Jahr 2013 schließlich aufgelöst.

Der Brautvater kannte sich da schon gut aus in der Gegend. Wladimir Putin war nicht nur 2006 zu Gast gewesen, als das Igora-Ski-Resort gegründet worden war. Ein großzügiges Anwesen, das direkt an das Resort angrenzt, nennen Einheimische „die Villa des Präsidenten“, und sie erzählen, dass Putin oft hier sei.

Eine Taufe am Anfang, eine Hochzeit am Schluss – wieder ließe sich eine Art Familienbild beschreiben. Es sähe so aus:

In das Resort, in dem Putins Tochter heiratete und zu deren Besitzer ein Kooperativen-Freund Putins zählt, flossen über die Offshore-Besitzerfirma augenscheinlich Millionen, die offenbar über eine Briefkastenfirma aus dem Netzwerk abgeleitet und verschleiert wurden. Orchestriert wurde das Ganze von der Bank Rossija, die mehreren Putin-Vertrauten gehört. Und der Strohmann für dieses Netzwerk war, wie es aussieht, Putins bester Freund: der Bank-Rossija-Miteigentümer Sergej Roldugin, Taufpate der anderen Putin-Tochter.

Gut, wenn man beste Freunde hat.


Mitarbeit: Roman Anin, Jake Bernstein, Luke Harding, Olesya Shmagun, Roman Shleynov, David Thompson, Oliver Zielmann


Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung hieß es fälschlicherweiße, Kamaz-Trucks hätten angebliche Hilfsgüter auf die Krim transportiert. Richtig ist: Die angeblich mit Hilfsgütern beladenen Kamaz-Trucks fuhren in die Ostukraine.