Sag niemals nie
Bei seinem ersten Auftritt als neu gewählter Fifa-Präsident präsentierte sich Gianni Infantino, 46, geschafft vom Wahlkampf einerseits und kämpferisch andererseits. „Uff“, war sein erstes Wort. Nach 18 Jahren Regentschaft seines Landsmanns Sepp Blatter will der Schweizer als neuer starker Mann dem Fußball-Weltverband, der durch allerlei Skandale in den Ethik-Ratings längst auf Ramschniveau heruntergestuft ist, wieder auf die Beine helfen: „Wir müssen stolz sein auf die Fifa. Jeder muss stolz sein auf die Fifa.“
Infantino, der Erneuerer.
Die hoffnungsfrohe Antrittsrede im Züricher Hallenstadion liegt erst gut sechs Wochen zurück, da muss sich die Ethikkommission der Fifa allerdings schon mit dem nächsten Problem befassen – mit einem ihrer Mitglieder. Der uruguayische Rechtsanwalt Juan Pedro Damiani, Gründungsmitglied dieses Gremiums für Sauberkeit und Anstand, ist durch die Veröffentlichung der Panama Papers zum Fall für die eigenen Kollegen geworden. Weil seine Kanzlei Briefkastenfirmen an drei Personen vermittelt hat, die in den USA im Zusammenhang mit dem jüngsten Fifa-Bestechungsskandal angeklagt sind, hat die Ethikkommission Vorermittlungen gegen ihr Mitglied aufgenommen. Damiani hatte der Fifa erst nach einer Anfrage der SZ die heikle Geschäftsbeziehung offengelegt.Diese rasche Reaktion könnte Infantino sogar als Signal einer neuen Ernsthaftigkeit aussenden: Seht her, da wird nicht lange gefackelt, da wird nicht erst gewartet, bis vielleicht eine US-Behörde die nächste Razzia wie am 27. Mai 2015 veranlasst, bei der sieben Fifa-Funktionäre vom Frühstücksbuffet ihres Tagungshotels weg verhaftet worden waren.
Die Fifa räumt auf: Das wäre mal eine Botschaft – wenn der ehemalige Uefa-Generalsekretär Infantino tatsächlich so sauber vom einen Amt ins nächste als Fifa-Präsident gewechselt ist, wie er vorgibt.
Ist er das? Aus den Panama Papers lässt sich rekonstruieren, dass Infantino in seiner Zeit bei der Uefa Verträge mit einer Briefkastenfirma geschlossen hat – ohne gewusst haben zu wollen, wem sie gehörte. Durch dieses Geschäft entgingen dem europäischen Verband womöglich Hunderttausende Euro. Sowohl Infantino als auch die Uefa leugneten diese Geschäftsbeziehungen zunächst.
Aus 111 000 werden 311 000 Dollar
Aus der Zeit, als der spätere Uefa-Generalsekretär dort noch Direktor der Rechtsabteilung war, stammen jene Verträge mit einer Firma namens Cross Trading. Diese gehörte zwei von der US-Justiz im Fifa-Skandal angeklagten argentinischen Sportrechtehändlern, Hugo und Mariano Jinkis. Unterschrieben hat für den Verband: Gianni Infantino.Dabei ging es um ein richtig gutes Geschäft – für Cross Trading.
In einem zweiten Vertrag von März 2007 bekam sie auch die Rechte am Uefa-Cup und am europäischen Super-Cup für dieselben Jahre, Preis: 28 000 Dollar.
Die Rechte von Cross Trading landeten am Ende bei der ecuadorianischen Teleamazonas-Gruppe, die nun das fußballverrückte 15-Millionen-Einwohner-Land mit Bewegtbildern von den Weltstars aus den Übersee-Wettbewerben versorgen konnte.
Allerdings hat Teleamazonas 311 700 US-Dollar dafür bezahlt – und 126 200 Dollar für die Uefa- und Super-Cup-Rechte. Das belegen Verträge aus anderer Quelle, die der SZ vorliegen.
Was für eine famose Marge: Die beiden Angeklagten der Fifa-Ermittlung haben Uefa-TV-Rechte für fast 440 000 Dollar weiterverkauft, die ihnen die Uefa für knapp 140 000 Dollar verkauft hatte.
Die Unterschrift Infantinos unter den Verträgen steht neben dem Autogramm jenes Mannes, der heute zusammen mit seinem Sohn Mariano als einer der in den USA Angeklagten im Fifa-Skandal geführt wird: Hugo Jinkis. Beide saßen kurz in Untersuchungshaft.
Die SZ konfrontierte die Uefa erstmals am 2. September 2015 – zu dem Zeitpunkt war Infantino dort noch als Generalsekretär zuständig fürs operative Geschäft. Die Frage:
„Machte die Uefa oder hat sie in den vergangenen 20 Jahren Geschäfte gemacht mit einem oder mehreren der 14 Angeklagten und oder ihnen verbundenen Firmen?“
Im Anhang folgte die Liste der Fifa-Angeklagten, die als Nummer 13 Hugo Jinkis, als Nummer 14 Mariano Jinkis führt. Diese argentinischen Rechte-Händler spielen übrigens auch im Fall Damiani eine Rolle. Antwort der Uefa am 3. September:
"Die Uefa hat keine Geschäftsbeziehungen mit den von Ihnen genannten Personen."
"Hat die Uefa derzeit/im Augenblick keine Geschäftsbeziehung mit den von uns genannten Personen oder Unternehmen – oder hatte die Uefa zu keiner Zeit Geschäftsbeziehungen mit den von uns genannten Personen oder Unternehmen?"
"Gemäß den dafür zuständigen Personen bei der Uefa gab es in den vergangenen 15 Jahren keine geschäftlichen Beziehungen mit den von Ihnen genannten Personen bzw. Unternehmen."
Zu jener Zeit, im Herbst 2015, als die „zuständigen Personen“ diese Antwort formulieren ließen, war Gianni Infantino noch Generalsekretär der Uefa. Am 2. März 2016, fünf Tage nach der Wahl Infantinos zum Fifa-Präsidenten, gingen ähnliche Fragen an ihn persönlich:
"Hatten Sie in der Vergangenheit mit den unten aufgeführten Personen geschäftlich oder andersweitig zu tun?"
Angehängt wieder die Namensliste, inklusive Jinkis/Jinkis und Cross Trading. In einer zweiten Mail am selben Tag wurde die Frage auf „Personen und Firmen“ erweitert.
Eine Fifa-Sprecherin antwortete:
"Gianni Infantino hatte weder persönlich noch die Uefa in seiner Zeit als Generalsekretär mit einer der unten genannten Personen oder Organisationen geschäftlich oder wissentlich anderwärtig zu tun."
Nachfrage am selben Tag, ob Infantino in früheren Positionen, etwa als Direktor der Rechtsabteilung, mit diesen Personen oder Firmen zu tun gehabt habe.
Die Fifa nur 30 Minuten später:
"Er hat in keiner seiner Funktionen bei der Uefa persönlich mit einer der genannten Personen oder Organisationen geschäftlich oder wissentlich anderwärtig zu tun gehabt."
Glasklare Dementis in Serie. Keine Protokollsprache, kein Schlupfloch.
Erst auf die direkte, am 23. März per E-Mail abgeschickte Konfrontation mit den Inhalten des Vertrags von 2006 – gezeichnet von Hugo Jinkis für Cross Trade und Gianni Infantino für die Uefa – räumte die Uefa wiederum sechs Tage später diesen Abschluss ein. Sogar mit mindestens einem weiteren TV-Rechtehändler, nach dem die SZ im September 2015 ebenfalls dezidiert gefragt hatte, waren Geschäfte gemacht worden. Es gebe ein „hospitality sales agreement“ für Brasilien, das mit der Firma Traffic Sports Europe eingegangen worden sei. Hinter dieser steht der brasilianische Geschäftsmann José Hawilla. Er hat sich in den laufenden Fifa-Ermittlungen schuldig bekannt.
Die verzögerte Antwort erklärte die Uefa damit, vor dem Hintergrund der US-Ermittlungen derzeit eine interne Untersuchung durchzuführen, um Verbindungen zu angeklagten Personen oder deren Firmen festzustellen.
Im Fall Jinkis/Jinkis gehen die US-Ermittler davon aus, dass die beiden Sportrechtehändler, Vater Hugo und Sohn Mariano, hochrangige Funktionäre der Fifa und anderer Verbände bestochen haben, um günstig an Fernsehrechte zu kommen, die sie dann mit erheblichem Aufschlag verkaufen konnten. So sollen sie für die Rechte an den drei Turnieren um die Copa America, gemeinsam mit anderen Sportrechtehändlern, die Zahlung von 110 Millionen Dollar Bestechungsgeldern vereinbart haben, von denen ein Teil auch schon geflossen sei. Und zwar auch über eine Briefkastenfirma von Mossack Fonseca. In der Anklage wird eine Jinkis-Gesellschaft genannt, eben Cross Trading – die, wie nun belegt, auch Vertragspartner der Uefa war.
Tatsächlich haben die Jinkis laut der Panama Papers bei Mossack Fonseca mindestens drei Offshore-Firmen gekauft: die auf Niue sowie eine auf den Seychellen und eine im US-Bundesstaat Nevada. Alle drei heißen Cross Trading.
Noch ein Beispiel für die Geschäftspraktiken von Vater und Sohn Jinkis aus der zweiten New Yorker Fifa-Anklageschrift vom 3. Dezember 2015: Im Herbst 2011 sollen die beiden drei hochrangige zentralamerikanische Fußballfunktionäre nach Uruguay eingeladen haben. Diese sollen versprochen haben, Hugo Jinkis und seinem Sohn zu helfen, bestimmte Medienmarketingrechte zu bekommen. Dafür seien die Funktionäre laut Anklage mit insgesamt 450 000 US-Dollar belohnt worden, die von einem Konto einer Jinkis-Firma namens Cross Trading stammen sollen.
Auch wenn das Jinkis-Prinzip bei den Geschäften mit Fifa und Uefa das gleiche ist – TV-Rechte möglichst billig kaufen und möglichst teuer verkaufen – es gibt einen wichtigen Unterschied. Im Fall Fifa gibt es den Verdacht der Bestechung, im Fall Uefa gibt es den nicht.
Oder: noch nicht.
Denn es stellen sich Fragen: Warum verkaufte der europäische Verband die TV-Rechte offenbar deutlich unter Wert? Und wieso konnte Cross Trading die Champions-League-Rechte schon im Juli 2006 an den Sender Teleamazonas verkaufen – Wochen, bevor sie sie selbst von der Uefa erwarb? Und überließ die Uefa womöglich auch in anderen Ländern das große Geschäft den Vermittlern und machte selbst nur das kleine? Das könnte dann die Mitglieder des Verbands, die nationalen Verbände, interessieren.
Dokumente, die der SZ aus Ecuador zugespielt wurden, zeigen sogar, dass die Uefa bereits für die Jahre von 2003 bis 2006 ein ähnliches Rechtepaket an Cross Trading verkauft hatte, wie der Verband auf Nachfrage bestätigte. Damit erhöht sich der geschätzte Aufschlag, den die Jinkis für das Weiterreichen von Uefa-Rechten nach Ecuador erhalten haben, sogar auf rund 600 000 US-Dollar.
Insider aus der Sportrechte-Szene finden diese Art von Handel „sehr verdächtig“. Margen wie diese, 1:3 oder 1:4,5, seien schwer erklärbar, sagt ein Informant, der die Akten der Schweizer Fifa-Ermittlungen gut kennt. Der Deal „schmeckt nicht gut“. Der ehemalige Schweizer Sportvermarkter Dominik Schmid hat dazu eine klare Meinung: Wenn in derartigen Verträgen mit einem Vermittler nicht vereinbart sei, eventuelle Gewinne zu teilen, und dieser Vermittler dann das Dreifache heraushole, dann sei „entweder der Verantwortliche beim Verband so inkompetent, dass er sofort gefeuert werden müsste, oder man könnte vermuten, dass es Abreden gab“.
Damit ist man direkt bei der Frage, wer die Verantwortung trug – und kommt damit unweigerlich auf Gianni Infantino, der damals Chef der Rechtsabteilung der Uefa war.
Jeder Vertrag müsse vor der Unterzeichnung von der Rechtsabteilung geprüft werde. Das sagt heute die Uefa. Wer hinter Cross Trading gestanden habe, sei nicht bekannt gewesen, behauptet der Verband: Man habe „zu der Zeit, als die Verträge unterschrieben wurden, nicht gewusst, wer die ,wahren Eigentümer‘ von Cross Trading waren“. Ein Blick auf den Vertrag hätte helfen können. Auf der Unterschriftenseite des ersten Vertrags mit Cross Trading steht nur ein paar Zentimeter neben dem Namen Infantino in Druckbuchstaben und deutlich lesbar der Name „Hugo Jinkis“. Das macht es so schwer, die Erklärung einer Fifa-Sprecherin nachzuvollziehen, „in keiner seiner Funktionen bei der Uefa“ habe der heutige Präsident „persönlich“ mit Angeklagten der Fifa-Ermittlungen geschäftlich zu tun gehabt.
Auf konkrete Nachfrage erläutert die Fifa-Sprecherin, Infantinos Antwort habe „einzig und allein auf den Informationen basiert, die der Fifa von der Uefa zur Verfügung gestellt“ worden seien.
Das hieße, die von Gianni Infantino geleitete Uefa-Rechtsabteilung hätte Verträge abgenickt, ohne zu wissen, mit wem sie das Geschäft machte. Unter Compliance-Gesichtspunkten – der Einhaltung von gesetzlichen Bestimmungen und internen Standards – wäre das Vorgehen ein GAU.
Hinweise auf Bestechung gibt es im Fall der Uefa nicht. Zumindest bisher
Der Verband weist jeglichen Verdacht auf etwaige Unregelmäßigkeiten aufs Schärfste zurück und erklärt, die Rechte seien in einer offenen Auktion vergeben worden. Cross Trading sei als „exklusiver Käufer“ für alle Sport-TV-Rechte des Senders Teleamazonas in Europa aufgetreten und habe in dessen Namen das beste Angebot im Wettbieten abgegeben. Über die Verträge zwischen Cross Trading und Teleamazonas wiederum und die Verdreifachung des Preises wisse die Uefa nichts – deren Geschäfte seien nicht ihre Sache.Der Sportmarketing-Experte Dominik Schmid wundert sich: „Wenn der Verband keine Kopie der Verträge hat, zwischen der Agentur und dem TV-Anbieter, ist das fahrlässig.“ Nur so könne er überprüfen, ob seine Vorgaben für die Vergabe der Rechte eingehalten würden.
Dass der Uefa dabei ein Schaden durch Verkauf unter Marktpreis entstanden sein könnte, berührt den Verband offenbar gar nicht. Die Uefa habe in den Jahren 2006 bis 2009 TV-Rechte für fast zwei Milliarden US-Dollar verkauft – der Anteil der Rechte in Ecuador falle da kaum ins Gewicht.
Ein Informant bei Teleamazonas sagt, man habe von der Marketing-Agentur der Uefa per E-Mail Formblätter bekommen und diese ausgefüllt zurückgeschickt. Er weiß aber nicht mehr, ob das Angebot – das auf 311 000 US-Dollar lautete – direkt an die Uefa oder die Marketing-Agentur des Verbandes gegangen sei.
Vielleicht hat Cross Trading einfach nur geschickt beide Seiten gegeneinander ausgespielt? Verloren haben ja Teleamazonas und die Uefa, weil die einen zu viel gezahlt und die anderen dennoch unter Wert verkauft haben. Auf Anfrage zu dem Fall antworteten Hugo und Mariano Jinkis nicht.
Wie war noch das erste Wort von Gianni Infantino als Fifa-Präsident? Uff.