Der verlorene Schatz
Wo ist das Geld von Muammar al-Gaddafi? Rebellen hatten den libyschen Diktator am 20. Oktober 2011 aus einem Abwasserkanal in seiner Heimatstadt Sirte gezogen. Er blutete am Kopf, Rebellen und Schaulustige schlugen ihn und stießen ihm ein Bajonett ins Gesäß. Wenig später war der Paradiesvogel unter Afrikas Autokraten tot. Kurz bevor er starb, hatte Gaddafi aber noch ein Fünftel der libyschen Goldreserven verkauft; ein großer Teil des Erlöses ist bis heute verschollen. Die Panama Papers könnten nun auf der Suche nach dem Vermögen wertvolle Hinweise geben.
Seit dem Sturz des libyschen Königs im Jahr 1969 hatte Gaddafi über ein Geflecht aus geheimen Briefkastenfirmen, geheimen Konten und undurchsichtigen Firmenbeteiligungen ein Vermögen auf die Seite geschafft. Das Öl hatte Libyen reich gemacht und damit auch Gaddafi. Insgesamt soll der ehemalige Militärhauptmann zwischen 100 und 200 Milliarden Dollar besessen haben. Weltweit laufen derzeit noch immer Dutzende Untersuchungen und Klagen auf die Herausgabe von Geld.
In den Dokumenten, die eine Quelle der Süddeutschen Zeitung zugespielt hat, finden sich nun Spuren, die zu zwei der engsten Vertrauten Gaddafis führen: zu einem der größten Günstlinge des Autokraten und zu seinem Chefinvestor. Der eine hat mit undurchsichtigen Staatsaufträgen Milliarden gescheffelt, der andere versteckt womöglich bis heute Milliarden im Auftrag das Gaddafi-Clans. Beide Männer wurden jahrelang von Interpol gesucht.
Gaddafis Banker
Eine Schlüsselfigur auf der Suche nach Gaddafis Geld ist ein Mann namens Bashir Saleh Bashir. Er war einst Stabschef und rechte Hand des Diktators, bis heute gilt er in Libyen als "Gaddafis Banker". Bashir soll das private Vermögen des Gaddafi-Clans investiert und versteckt haben, außerdem leitete er einen milliardenschweren Zweig des libyschen Staatsfonds - jenes von Öl gespeisten Geldbunkers, über den Gaddafi frei verfügte. Die sogenannte Libya Africa Investment Portfolio investierte in anderen afrikanischen Staaten die Erlöse aus dem libyschen Öl-Geschäft. Wohin das Geld am Ende genau floss, lässt sich heute nicht mehr restlos klären. Viele Libyer vermuten: oft in die Tasche des Autokraten Gaddafi selbst, der sich je nach Lust und Laune mal "Führer der Führer Arabiens" oder "Imam aller Muslime" nannte - oder, ganz bescheiden, "König der Könige Afrikas".Als Gaddafi im Februar 2011 mit Gewalt gegen Demonstranten und Aufständische vorging, sanktionierten die Vereinten Nationen Personen, Besitztümer und Firmen, die mit seinem Regime in Verbindung standen. Auch das Vermögen von Gaddafi-Banker Bashir Saleh Bashir wurde im Zuge dieser Maßnahmen durch die Europäische Union und die Schweiz eingefroren. Die Staatsfirma Libya Africa Investment Portfolio landete kurz darauf auf der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrats als "mögliche Finanzquelle" des libyschen Regimes. Gaddafi und seine Günstlinge sollten keine Geschäfte mehr machen und kein Geld mehr bewegen können.
Wie die Panama Papers zeigen, hatte Bashir jedoch offenbar vorgesorgt: Die sanktionierte Staatsfirma Libya Africa Investment Portfolio besaß nämlich Anteile an einer Briefkastenfirma namens Vision Oil Services Limited. Mehreren Libyen-Spezialisten, von der SZ zu dieser Firma befragt, war sie bislang nicht bekannt. Vision Oil Services Limited war offenbar das Geheimnis von Gaddafis Banker. Die Firma war bereits 2007 von der panamaischen Kanzlei Mossack Fonseca gegründet worden. Sie war jedoch jahrelang inaktiv, weil Verwaltungsgebühren nicht bezahlt worden waren. Erst am 10. März 2011, als sich das Ende des Gaddafi-Regimes abzuzeichnen begann, wurden die ausstehenden Rechnungen auf einen Schlag beglichen, eine "Unbedenklichkeitsbescheinigung" eingeholt und die Firma reaktiviert - zehn Tage nachdem Bashir Saleh Bashir, Gaddafis Banker, sanktioniert worden war.
Die Offshore-Firma war perfekt getarnt: Offiziell tauchten weder die Libya Africa Investment Portfolio noch Bashir Saleh Bashir auf. Als Scheindirektor und Geschäftsführer der Briefkastenfirma diente ein Mann aus Saudi-Arabien, der auch bevollmächtigt war, Konten bei der Genfer Bank Pictet, der Wiener Niederlassung der Landsbanki Luxembourg und der Standard Chartered Bank in Singapur zu gründen. Dieser Saudi hatte schon mit jordanischen mutmaßlichen Öl-Schmugglern Geschäfte gemacht und war angeblich schon in Libyen im Gefängnis gesessen. Schon damals soll es ums Geld gegangen sein. Womöglich Gaddafis Geld.
Anfang April 2011 trat der Saudi als Direktor der Vision Oil zurück und setzte einen in Deutschland lebenden Briten als Direktor ein. Auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung erklärte dieser, von den Geschäften der Firma nichts gewusst zu haben. Er sei Angestellter des Saudis gewesen und habe lediglich als Scheindirektor fungiert, als jener sich in einer Gefahrensituation befunden habe. Während sich in Libyen Gaddafis Truppen und die Aufständischen immer heftiger bekriegten, setzte der saudische Scheindirektor demnach also einen britischen Scheindirektor ein: Über die ohnehin schon schwer durchschaubare Firmenstruktur wurde eine weitere Schutzschicht gezogen.
Wenige Monate später starb Gaddafi. Rebellen nahmen seinen Finanzexperten Bashir Saleh Bashir - von dem eine Passkopie in den Panama-Papieren zu finden ist - fest, er kam in den Wirren des Bürgerkriegs aber bald wieder frei.
Auch die Spur der Vision Oil Services verlor sich in jenen Monaten. Die Firma wurde von den Behörden der Britischen Jungferninseln wegen ausstehender Verwaltungsgebühren deaktiviert. Ob möglicherweise vorhandenes Firmenvermögen vorher transferiert wurde, ist nicht bekannt und geht auch aus den Panama Papers nicht hervor.
Bashir Saleh Bashir indes tauchte wenig später in Niger auf, dann verschwand er wieder. Mehrmals wurde er inzwischen auch in Südafrika gesichtet; gerüchteweise soll er sich dauerhaft in Swasiland aufhalten. Er sei der Einzige, der alle Einzelheiten zu den libyschen Investitionen in Afrika kenne, heißt es bis heute in Libyens Hauptstadt Tripolis. Mit der Presse spricht Gaddafis Banker nicht, auch für eine Anfrage der SZ war er nicht zu erreichen.
Der Gefährte des Führers
2012 stand die Suche nach Gaddafis Vermögen kurz vor dem Durchbruch. Der frühere libysche Chefspion Abdullah Sanussi berichtete von einem Goldschatz Gaddafis, der in der Wüste Libyens versteckt worden sei. Außerdem bot ein libyscher Ex-Minister in Wien seine Hilfe bei der Suche nach Gaddafis Geld an. Wenige Tage später wurde er tot in der Donau gefunden. Er starb, bevor er auspacken konnte. Auch Chefspion Sanussi gab am Ende nicht preis, wo genau das angebliche Gold vergraben sei.Etliche Gaddafi-Millionen wurden derweil in Italien, Deutschland und den USA gefunden. Der große Teil aber bleibt verschollen. Heute haben die Jäger des verlorenen Gaddafi-Schatzes dem Vernehmen nach neben Bashir Saleh Bashir vor allem einen Mann namens Ali Dabaiba im Visier. Der Mann gehörte einst zum engsten Kreis des Autokraten, zu den "Gefährten des Führers", wie man die Clique in Libyen nannte. Die gigantische staatliche Auftragsbehörde "Organization for Development of Administrative Centres" (ODAC), der er vorstand, erteilte über die Jahre Aufträge in Milliardenhöhe - viele davon sollen nach Ansicht libyscher Ermittler an Firmen mit Verbindungen zu Dabaibas eigener Familie gegangen sein.
Als sich Wirtschaftsprüfer diese Aufträge nach dem Sturz Gaddafis genauer anschauten, stießen sie laut Medienberichten auf eine doppelte Buchführung. Ein Berater Gaddafis erklärte Fahndern später, dass schon früh Unstimmigkeiten bei der Auftragsbehörde ODAC aufgefallen seien, ohne allerdings genauer untersucht worden zu sein - Gaddafi selbst und seine Söhne seien "in die Leitung der ODAC verwickelt" gewesen, hieß es zur Begründung.
Für eine entsprechende Anfrage der SZ war Dabaiba nicht zu erreichen. Ali Dabaiba, der ominöse Gaddafi-Getreue, wechselte auf dem Höhepunkt des libyschen Bürgerkriegs zwar die Seiten und finanzierte die Rebellen in seiner Heimatstadt Misrata; sein Vermögen wurde nach dem Sturz Gaddafis von der neuen Regierung dennoch eingefroren und sein Name auf die Liste jener Männer gesetzt, die im Verdacht stehen, Staatsgelder veruntreut zu haben. Er zog nach London, wo seine Familie offenbar mehrere wertvolle Immobilien besitzt. Libysche Ermittler werfen Dabaiba vor, millionenschwere Aufträge an Firmen vergeben zu haben, die er selbst oder Angehörige kontrollierten. Das auf diese Weise erwirtschaftete Geld soll er über ein Konstrukt von Briefkastenfirmen außer Landes geschmuggelt haben.
Dutzende Firmen aus dem Gaddafi-Kosmos wurden von Mossack Fonseca verwaltet
Bis heute haben Ermittler, die im Auftrag der libyschen Regierung arbeiten, etwa 100 Firmen auf den Britischen Jungferninseln, auf Malta, in Liechtenstein und Großbritannien aufgedeckt, die angeblich von Dabaiba, dessen Söhnen oder mutmaßlichen Komplizen kontrolliert werden. Die wahren Eigentümerstrukturen blieben jedoch zumeist undurchschaubar.Das könnte sich nun ändern: Etliche Firmen, die Gaddafis Getreuen zugeschrieben werden, wurden von Mossack Fonseca verwaltet, jener panamaischen Anwaltskanzlei, die seit Anfang April im Zentrum der weltweiten Panama-Papers-Enthüllungen steht.
Bei zahlreichen Briefkastenfirmen, die die libyschen Ermittler Ali Dabaiba zuschreiben, taucht in den Panama-Papieren der Name des Briten Riad G. auf.
Er ist in Libyen zur Schule gegangen und hat in London studiert. Seine Facebook-Seite zeigt, dass er mit der Familie Dabaiba verbandelt ist. Riad G. gehörte offenbar zeitweise auch die Hälfte der Anteile an einem Hotel in den schottischen Highlands. In der dahinterstehenden Firma seien womöglich libysche Staatsgelder versteckt worden, schrieben libysche Fahnder vor einiger Zeit in einem Rechtshilfeersuchen an die britischen und schottischen Behörden, das die SZ und der britische Guardian in Auszügen einsehen konnten. Dabaiba werden in dem Ersuchen unter anderem Amtsmissbrauch und illegale Geldtransfers vorgeworfen, zum Schaden des öffentlichen Haushalts.
Die Firma hinter dem Luxus-Hotel wird laut Handelsregister von zwei Männern geleitet, die beide im Jahr 2008, lange vor dem libyschen Bürgerkrieg, millionenschwere Aufträge der ODAC bekommen haben - jener Behörde, die Ali Dabaiba leitete. Damit schließt sich der Kreis.
Schottlands Behörden bestätigten, dass in der Angelegenheit Ermittlungen laufen. An die letzte Vermögenserklärung Dabaibas, wonach er lediglich ein paar Autos, Schmuck und eine Farm mit vier Kamelen besitze, glauben die Ermittler eher nicht.