Das Ende einer Skandal-Firma
Als sich Jürgen Mossack Anfang April 2016 im Wall Street Journal zu Wort meldet, liegt die Veröffentlichung der Panama Papers erst drei Tage zurück. Seitdem steht seine Kanzlei – Mossack Fonseca – plötzlich im Zentrum der weltweiten Aufmerksamkeit.
In mehr als 100 Medien sind in dieser kurzen Zeit Geschichten über die dunklen Geschäfte des panamaischen Anwaltsbüros erschienen, über Verbindungen zu mexikanischen Drogenkartellen, einen der wichtigsten Finanziers des syrischen Regimes, zu Diktatoren, Waffenschmugglern, Steuerhinterziehern.
Und über die Milliarden, die im Offshore-Netzwerk des besten Freundes des russischen Präsidenten Wladimir Putin verschoben wurden. Heute, ein Jahr nach Veröffentlichung der Panama Papers, haben Staatsanwaltschaften und Gerichte, Polizei und Zoll, Steuerbehörden und Parlamente in aller Welt Maßnahmen eingeleitet. Mindestens 150 Verfahren in 80 Ländern konnte die SZ ausfindig machen.
Jürgen Mossacks Kanzlei soll Korruption, Sanktionsbruch und zahlreiche weitere Verbrechen ermöglicht haben oder sie soll geholfen haben, die Spuren zu verschleiern.
Nicht ganz einfach, das zu erklären.
Mossack hat vor der Veröffentlichung und in den ersten Tagen danach sämtliche Presseanfragen ignoriert, auch die der Süddeutschen Zeitung. Im Gespräch mit dem Wall Street Journal gibt sich der in Fürth geborene Anwalt kurz darauf trotzig und kämpferisch. Fehler seien passiert, gesteht er ein, aber seine Kanzlei habe nicht gegen Gesetze verstoßen. Deswegen werde Mossack Fonseca jetzt nicht plötzlich „Bananen anbauen oder irgendwas“. Sondern: weitermachen.
Dieses Interview ist eine der wenigen Reaktionen des deutschen Kanzlei-Gründers auf internationale Medienanfragen im vergangenen Jahr. Solche Anfragen erreichen Jürgen Mossack seit etlichen Wochen allerdings kaum mehr, er sitzt nämlich – genau wie sein panamaischer Kompagnon Ramón Fonseca – seit Mitte Februar in Untersuchungshaft.
Lange Zeit funktionierte das Geschäftsmodell von Mossack Fonseca ziemlich reibungslos. Das Prinzip ist einfach: Für oft nur 1000 Dollar bekommt man eine anonyme Firma. Gegen Aufpreis stattet Mossfon diese Firma mit sogenannten Scheindirektoren aus und verschleiert damit den wahren Inhaber. Nach außen ist die Firma eine Black Box, niemand sieht, was drinnen vorgeht.
Nachdem zuvor zehn Monate lang sehr wenig passiert und das Verfahren gegen die Kanzlei in Panama sogar eine Zeit lang ausgesetzt worden war, eskalierte die Lage im Februar sehr plötzlich. Die panamaischen Ermittler rückten zu einer weiteren Razzia im Hauptsitz der Firma an, zur mittlerweile dritten Durchsuchung. Anschließend erklärten sich Mossack und Fonseca offenbar freiwillig bereit, sich von der Staatsanwaltschaft vernehmen zu lassen. Nach der ersten Vernehmung entschied die Behörde, beide in Haft zu behalten, ebenso wie zwei weitere hochrangige Mitarbeiter.
Die Festnahmen erfolgten offenbar auf Bitten der brasilianischen Behörden, die gegen die Kanzlei wegen ihrer Verwicklung in einen monströsen Korruptionsskandal ermittelt: dem sogenannten Lava-Jato-Skandal. Dabei geht es um systematische Schmiergeldzahlungen in Milliardenhöhe und um ein komplexes Netzwerk aus Betrug und Bestechung. Mossack und Fonseca wird in diesem Zusammenhang Geldwäsche vorgeworfen. Offenbar, so heißt es aus der Branche, sind auch die Privatkonten aller Festgenommenen gesperrt.
Die Verhaftung der beiden Männer kam höchst unerwartet und gilt in Panama als Sensation. Das kleine Land wird regiert von einer verschworenen Elite aus Wirtschaft und Politik, in der sowohl Jürgen Mossack und als auch Ramón Fonseca sehr einflussreich waren. Fonseca hatte, bis die SZ ihn mit den ersten Vorwürfen konfrontierte, sogar einen Sitz im Kabinett des amtierenden Präsidenten Juan Carlos Varela inne und war zudem stellvertretender Vorsitzender der Regierungspartei. Er legte beide Ämter nieder, damit er um seine „Ehre“ kämpfen könne. Jürgen Mossack wiederum war bis zu den ersten Veröffentlichungen Mitglied im Nationalen Rat für Auslandsbeziehungen.
An jenem Freitag im Februar dieses Jahres, als Mossack Fonseca ein weiteres Mal durchsucht wurde, muss Ramón Fonseca geahnt haben, dass sein Freund Juan Carlos Varela, der Präsident, nicht weiter seine schützende Hand über ihn halten würde. Auf seinem Weg zur Vernehmung beschuldigte Fonseca Varela live im Fernsehen, selbst in die Korruptionsaffäre in Brasilien verwickelt zu sein – allerdings ohne dafür Beweise zu liefern. Panama bebte, die Zeitungen füllten ihre Titelseiten und ihre Internetauftritte tagelang mit den neuesten Entwicklungen, Angestellte von Mossack Fonseca protestierten mit Plakaten gegen die Festnahme ihrer Chefs, und auf den Straßen versammelten sich Tausende Menschen, um gegen die Korruption im eigenen Land zu protestieren.
Die Panama Papers haben, mit etwas Anlauf, die bislang geschlossene Elite Panamas aufgebrochen in jene, die noch immer das Offshore-Treiben von Kanzleien wie Mossack Fonseca verteidigen, und in solche, die endlich Reformen in einem Land sehen wollen, das keineswegs von der Offshore-Industrie abhängig ist. Einig sind sich die Lager vor allem darin, dass Mossack Fonseca, die Kanzlei inmitten der Panama Papers, nicht mehr lange bestehen wird. Präsident Varela sagte der SZ bei einem Deutschlandbesuch im vergangenen Herbst, die Kanzlei sei „am Ende“, und Fonseca, sein einstiger Freund und politischer Weggefährte, werde sich „seiner Verantwortung stellen müssen – und am Ende auch dem Richter“.
Tatsächlich ist die Firma heute, ein Jahr danach, nur mehr ein Schatten ihrer selbst. Die firmeninterne Privatbank – Mossfon Asset Management SA, vermutlich der problematischste Teil der Firma – wurde abgewickelt, und Büros in etlichen Ländern wurden geschlossen, in Luxemburg etwa, auf Jersey, der Isle of Man oder in Gibraltar. Im US-Staat Nevada trat die Kanzlei als sogenannter Registered Agent sämtlicher dort von ihr registrierten und noch aktiven Firmen zurück. Und in Neuseeland wurde die örtliche Niederlassung aus dem Handelsregister gestrichen. Offenbar entließ Mossack Fonseca auch massiv Mitarbeiter, jedenfalls erklärte Ramón Fonseca kurz vor seiner Verhaftung, Mossfon habe nur noch 150 Angestellte; wenig später war in der panamaischen Presse sogar von lediglich 40 Mitarbeitern die Rede. Vor einem Jahr arbeiteten für Mossack Fonseca offiziell noch mehr als 600 Menschen.
Aber selbst wenn sich Mossack Fonseca noch eine Zeit lang halten könnte, selbst wenn Jürgen Mossack und Ramón Fonseca wieder auf freien Fuß kämen, selbst wenn die Berichte über Entlassungen übertrieben wären – es ist wohl nicht sonderlich gewagt, das nicht allzu ferne Ende der Kanzlei vorherzusagen: Ihr Kerngeschäft, das zentrale Versprechen, war schließlich Verschwiegenheit und Vertraulichkeit, beides ist dahin, seit eine anonyme Quelle, die sich „John Doe“ nannte, der SZ Kopien von mehr als elf Millionen internen Dokumenten zuspielte.
Mossack Fonseca war einer der weltweit größten Anbieter von Briefkastenfirmen, fast 40 Jahre lang verkaufte die Kanzlei anonyme Briefkastenfirmen, meist ausgestattet mit Scheindirektoren, um zu verschleiern, wer sich dahinter verbirgt. Mindestens 214.000 dieser Briefkastenfirmen entstanden durch die Arbeit der Kanzlei, vorzugsweise in Steueroasen wie auf den Britischen Jungferninseln oder auf den Seychellen.
Aber wer vertraut noch einer Kanzlei seine Geheimnisse an, die all ihre Geheimnisse schon einmal verloren hat?
Der Name Mossack Fonseca ist belastet. Er steht für das größte Leck in der modernen Finanzgeschichte. Sobald nun irgendwo der Name der Kanzlei fällt, werden Fahnder hellhörig. Selbst Mossack Fonseca scheint zu diesem Ergebnis gekommen zu sein. Nach SZ-Recherchen versuchte die Kanzlei im vergangenen Jahr offenbar, ihre Geschäfte unter anderem Namen laufen zu lassen – so wird in einer internen E-Mail mitgeteilt, dass die Kollegin von „AsiaVest Corporate Services Pte. Ltd., bisher bekannt als Mossack Fonseca Singapur“, gerade keine E-Mails auf Mossfon-Servern empfangen könne.
„Dear colleagues, please note that AsiaVest Corporate Services Pte. Ltd., previously known as Mossack Fonseca Singapore, is not receiving emails from mossfon domains”
In einer anderen Mail erfahren die Mossfon-Kollegen Ende 2016, dass die beiden Mossfon-Büros in Hongkong umgezogen seien – für beide Dependancen werden auch neue Firmennamen angegeben: Wise Team International und Vibrant International Group. Schlägt man diese Firmen im Firmenregister nach, findet sich dort als Ansprechpartnerin eine ehemalige Mossfon-Angestellte der Luxemburger Niederlassung. An eine weitere bislang unbekannte Firma in Panama sollen laut internen E-Mails Rechnungen adressiert werden, die eigentlich für Mossack Fonseca gedacht waren, andere Gelder wiederum werden an eine Starsight Trading mit Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten geschickt.
Ein Versteckspiel, um wenigstens so noch Geschäfte machen zu können? Auf eine entsprechende Anfrage antwortete die Kanzlei Mossack Fonseca bis Montagnachmittag nicht.
Dazu kommen, weiterhin, erhebliche rechtliche und regulatorische Schwierigkeiten in etlichen Ländern. Auf den Britischen Jungferninseln, wo die Offshore-Kanzlei so viele Briefkastenfirmen gegründet hat wie in keiner anderen Steueroase, verhängten die Behörden im vergangenen Jahr eine Rekordstrafe von 440 000 Dollar. In El Salvador und Peru hatten Fahnder nach Veröffentlichung der Panama Papers ebenfalls Mossfon-Büros durchsucht, in Venezuela hatte die Polizei die örtliche Vertreterin festgenommen. Ihr wird vorgeworfen, Kunden angeworben zu haben, die illegale Gelder investiert haben. In New York leitete die Staatsanwaltschaft schon im April 2016 ein Verfahren ein, dessen derzeitiger Stand unbekannt ist, und sehr wahrscheinlich gibt es weitere Ermittlungsverfahren gegen Mossack Fonseca in weiteren Ländern. Insgesamt laufen weltweit in etwa 80 Ländern Ermittlungen im Zusammenhang mit den Panama Papers.
Das größte und offensichtlichste Problem liegt aber in Panama selbst, wo Jürgen Mossack, Ramón Fonseca, ein leitender Anwalt der Firma und eine weitere Angestellte in Haft der weiteren Entwicklung harren. Der leitende Anti-Korruptions-Ermittler erklärte im März, man habe einen „soliden Fall“. Er habe zwei Bankkonten entdeckt, die „irreguläre“ Zahlungen im Zusammenhang mit dem Mossfon-Büro in Brasilien enthalten. Dort seien Finanzprodukte angeboten worden, durch die Geld versteckt worden sei, das in das panamaische Finanzsystem geflossen sei. Mossack Fonseca erklärte, es habe sich dabei lediglich um Gebühren gehandelt, alles sei legal gewesen. Ein Gericht lehnte es derweil ab, Jürgen Mossack und Ramón Fonseca auf freien Fuß zu setzen. Offenbar schien die Fluchtgefahr zu hoch zu sein.
Laut der panamaischen Zeitung La Prensa hat eine festgenommene Mossack-Fonseca-Angestellte in den Verhören zunächst weitreichende Angaben über die Geschäftspraktiken der Kanzlei gemacht: Es seien unter anderem Strukturen zur Steuerhinterziehung und fiktive Versicherungskonstrukte aufgesetzt worden. Später behauptete die Frau, von Ermittlern unter Druck gesetzt worden zu sein. Zudem wird Medienberichten zufolge in Panama auch wegen Steuerhinterziehung gegen Mossack Fonseca ermittelt. Insgesamt laufen allein in dem kleinen Land angeblich sechs verschiedene Ermittlungsverfahren gegen Mossack Fonseca.
Wie einst das von Panama aus verwaltete Geld um die Welt floss, so breiten sich nun auch die Erkenntnisse über die Kanzlei international aus. Vor wenigen Tagen brach die zuständige Generalstaatsanwältin nach Europa auf, um mit Ermittlern in mehreren europäischen Ländern über die Panama Papers und den panamaischen Teil der brasilianischen Lava-Jato-Bestechungsaffäre zu sprechen. Seit Montag tagt sie in Den Haag mit der EU-Justizbehörde Eurojust sowie Fahndern aus 17 EU- Ländern, darunter auch Deutschland und Großbritannien.
Wie geht man mit all dem um? Mossack Fonseca blieb viele Monate bei einer übersichtlichen Strategie: Alle paar Wochen erklärte die Firma auf ihrer Homepage, sie habe stets legal gehandelt, ihre Kunden seien vor allem große Banken gewesen, die Panama Papers seien ein Angriff auf Panama. Dazu betonten Mossfon-Angestellte wieder und wieder, dass die Kanzlei in 40 Jahren Arbeit „noch nie einer Straftat beschuldigt oder gar angeklagt“ worden sei. Zumindest der Inhalt dieses Satzes ist jetzt schon Geschichte.
Seit ihre Gründer inhaftiert wurden, geht die Kanzlei aber in die Offensive: Auf einer eigenen Facebookseite namens #casomossackfonseca – der Mossack-Fonseca-Fall – verbreitet sie ihre Sicht der Dinge und reagiert auf so ziemlich jede Äußerung von Polizei und Staatsanwaltschaft. Es ist der verzweifelte Versuch, den Schaden wenigstens ein bisschen zu begrenzen.
Der Fall ist insofern speziell, als den mittlerweile mehr als 460 Reportern, die Zugang zu den Panama-Papers-Daten haben, zahlreiche Dokumente vorliegen, die zumindest belegen, dass Mossfon-Mitarbeiter von den fragwürdigen und teils illegalen Praktiken ihrer Kunden wussten. Nicht immer, aber immer wieder. Nach übereinstimmenden Recherchen wurden unter Mitwirkung oder Hilfestellung von Mossack Fonseca offenbar Sanktionen gebrochen, wurde Beihilfe zur Hinterziehung geleistet und mit Geldern aus illegaler Herkunft gearbeitet.
John Doe, die anonyme Quelle, die der SZ die 2,6 Terabyte Daten von Mossack Fonseca zugespielt hatte, erklärte seine Motivation später:
„Ich habe mich dazu entschlossen, Mossack Fonseca dem Urteil der Weltöffentlichkeit auszusetzen, weil ich der Meinung bin, dass die Kanzleigründer, Angestellten und Kunden für ihre Rolle bei diesen Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden sollten. Bislang ist erst ein Bruchteil der schmutzigen Machenschaften von Mossack Fonseca bekannt, es wird Jahre, vielleicht Jahrzehnte dauern, bis alles ans Licht gekommen ist.“
Im Finanzdistrikt von Panama-Stadt wurden schon vor Wochen die Firmenschilder vor dem Hauptsitz von Mossack Fonseca abmontiert – möglicherweise um Schaulustige fernzuhalten. Es könnte gut sein, dass es sich nicht lohnt, die Schilder wieder anzubringen.