Im Schatten-Kabinett
Der kleine Verhörraum, in dem isländische Geschichte geschrieben wurde, ist zweckdienlich eingerichtet: ein Tisch, ein paar Stühle, ein Computer. Die Fenster sind blickdicht abgeklebt, eine Kamera schaut teilnahmslos von der Wand herab. Die Doppelverglasung sorgt für eine seltsame Stille, wo gerade noch der isländische Sturmwind am Reykjavíker Faxaflói-Fjord rauschte.
In diesem Raum mussten einige der ehemals mächtigsten Männer Islands dem staatlichen Krisen-Sonderermittler Ólafur Hauksson Rede und Antwort stehen: Banker, Manager, Investoren. Hauksson, fast zwei Meter groß und nicht schlank, arbeitet seit sechs Jahren die betrügerischen Vorgänge auf, die im Oktober 2008 zum Zusammenbruch der isländischen Wirtschaft geführt hatten. Damals waren innerhalb von drei Tagen die drei größten Banken des Landes kollabiert – auch deswegen, weil ihre Manager illegal die Kurse der eigenen Banken frisiert hatten. „Marktmanipulation“, erklärt Hauksson knapp.
Was ist mit den Chefs der drei Banken geschehen? „Alle drei mussten ins Gefängnis.“ Hauksson, der Hüne, deutet lächelnd auf zwei Stühle. „Da haben sie gesessen.“
Ólafur Hauksson ist also gerade erst dabei, den größten Skandal der jüngeren isländischen Geschichte abzuschließen. Und schon zieht der nächste Sturm auf.
Der Schock sitzt tief
In den internen Dokumenten des panamaischen Offshore-Providers Mossack Fonseca (Mossfon), den Panama Papers, findet sich nämlich der Name von Sigmundur Davíð Gunnlaugsson, dem aktuellen Premierminister Islands. Ebenso der von Finanzminister Bjarni Benediktsson, dem zweitmächtigsten Mann in der Regierung. Und der von Ólöf Nordal, der Innenministerin. Alle drei stehen demnach offenbar in Verbindung mit anonymen Offshore-Firmen, ohne dass sie das transparent gemacht hätten. Außer ihnen findet man in den Unterlagen Hrólfur Ölvisson, den Geschäftsführer der Partei des Premiers, einige der reichsten Männer des Landes, etliche ehemalige Spitzenbanker und mindestens einen hochrangigen Regierungsberater. Und das in einem Land, das gerade mal so viele Einwohner hat wie Bielefeld: rund 330 000.So schnell wird Island nicht zur Ruhe kommen.
Wer Anfang 2016 nach Reykjavík fliegt, erlebt ein Land, das sich noch immer nur langsam von der großen Krise erholt. Der Schock, der das Land im Herbst 2008 getroffen hatte, sitzt tief. Für einige Monate war Island damals im Brennpunkt der weltweiten Finanzkrise gewesen, als die drei großen Banken Landsbanki, Kaupthing und Glitnir fast zeitgleich unter ihren Auslandsschulden zusammenbrachen.
Der Rest folgte prompt: Der Aktienmarkt stürzte um 90 Prozent ab, die Isländische Krone fiel auf die Hälfte ihres Wertes, das Bruttosozialprodukt sank um zehn Prozent. Mit der Wirtschaft kollabierte auch das Ansehen des Landes, innen wie außen. Tausende Menschen demonstrierten vor dem Parlament, warfen mit Steinen, Eiern und Schneebällen.
Die Welt sah fassungslos auf die windumtoste Insel, die eben noch der skandinavische Vorzeigestaat war, Liebling von Organisationen wie Transparency International. Und schuld waren ausgerechnet die in Island und anderswo als wagemutige „Finanzwikinger“ gefeierten Banker. Sie hatten sich gegenseitig ungesicherte Kredite in bis zu dreistelliger Millionenhöhe gegeben, um mit diesen Darlehen die Aktienkurse ihrer Banken zu manipulieren. Damit das nicht auffiel, gingen die Darlehen auf dem Papier meist an Offshore-Firmen, häufig aufgesetzt von Mossfon, wie nun aus den Panama Papers hervorgeht. Ohne Offshore-Firmen wäre der Betrug, der die Blase füllte, wohl sofort aufgeflogen.
Sieben Jahre später ist Sonderermittler Ólafur Hauksson eine Berühmtheit in Island. Bis 2016 wurden 27 Manager zu Gefängnisstrafen verurteilt. Die Bevölkerung feierte jede einzelne Verurteilung. Selbst der damalige Premierminister Geir Haarde kam nicht ungeschoren davon: Das Parlament stimmte dafür, ihn wegen „Fahrlässigkeit im Amt“ anzuklagen. Das Ergebnis des Verfahrens war eher eine symbolische Geste: Es wurde lediglich festgestellt, er habe sein Kabinett in der Krise über wichtige Geschehnisse nicht ausreichend informiert.
Diese Vorgeschichte muss man kennen, wenn man jetzt auf die Offshore-Firmen der isländischen Politiker schaut: Die Wut der Menschen ist noch frisch. Und Premierminister Gunnlaugsson in Erklärungsnot.
Laut den Unterlagen der Panama Papers wird Gunnlaugsson Ende November 2007 gemeinsam mit seiner Partnerin Anna Sigurlaug Pálsdóttir, die er 2010 heiratete, als Anteilseigner einer Briefkastenfirma namens Wintris Inc. eingetragen, die kurz zuvor auf den Britischen Jungferninseln gegründet wurde. Allerdings wurde der Vorgang aus unersichtlichen Gründen auf den 9. Oktober rückdatiert.
Gunnlaugsson ist damals noch Journalist und Rundfunkmoderator, Pálsdóttir, wie heute, Anthropologin. Beide kommen aus reichen Familien.
Als Vermittler tritt laut den Mossfon-Unterlagen die Luxemburger Landsbanki-Niederlassung auf. Einer ihrer Mitarbeiter bestellt die Firma Wintris Inc. im Mossfon-Büro Luxemburg und bittet um Generalvollmachten für Gunnlaugsson und Pálsdóttir. Der Banker schreibt in einer E-Mail:
Dear J.,
Please issue a POA to:
- Anna Sigurlaug Palsdottir
- Sigmundur Davíð Gunnlaugsson
I will send you the addresses later today
They will own the company 50%-50%
SH cert nr. 1 with 1000 shares SH cert nr. 2 with 1000 shares
Thank you. Kind regards
So geschieht es. Wintris bekommt zwei Aktien. Eine ausgestellt auf Anna Sigurlaug Palsdottir. Und eine auf Sigmundur Davíð Gunnlaugsson.
Im März 2008 eröffnet die Wintris Inc. ein Konto bei der Schweizer Bank Credit Suisse in London. Damit sind vier Steueroasen involviert: die Offshore-Firma auf den Britischen Jungferninseln, die Kanzlei in Panama, der Vermittler in Luxemburg, das Konto bei einer Schweizer Bank.
Noch wichtiger ist aber, was sich über die Wintris in den Daten zusätzlich finden lässt. Im März 2010 veröffentlicht Wikileaks eine bis dahin unter Verschluss gehaltene Liste von fast 30000 Forderungen gegenüber der kollabierten Kaupthing-Bank, auch um die Gier der Spekulanten zu enttarnen. Einer der Gläubiger: Wintris Inc. Auf einer Gläubigerliste der Landsbanki von 2009 ist die Offshore-Firma ebenfalls zu finden. Und laut einer Person, die mit der Sache befasst ist, soll Wintris auch Anleihen von Glitnir, der dritten Pleite-Bank, besessen haben. Gesamtwert der Bonds heute: rund 3,6 Millionen Euro.
Gunnlaugsson bestätigt den Besitz von Bonds auf Anfrage. Er und seine Partnerin hatten demnach persönliche finanzielle Interessen an allen drei Banken.
Das wäre 2007 noch unwesentlich gewesen, aber Gunnlaugsson ging wenig später in die Politik, wurde Anfang 2009 Vorsitzender der Fortschrittspartei und im April desselben Jahres ins Parlament gewählt. Damals trat in Island eine neue Transparenz-Regelung für Abgeordnete in Kraft: Wer mehr als 25 Prozent an einer Firma hielt, musste sie melden – so bestätigt es ein Parlamentssprecher auf SZ-Anfrage.
Gunnlaugsson meldete Wintris Inc. nicht, obwohl ihm die Firma damals offenbar zur Hälfte gehörte. Brach er also die Vorschrift des isländischen Parlaments?
Der Premier bestreitet dies auf Anfrage: Firmen, die nicht wirklich Geschäfte machen, seien nicht meldepflichtig.
Am 31. Dezember 2009 verkaufte Gunnlaugsson seine Hälfte von Wintris an Anna Pálsdóttir. Der Kaufpreis betrug laut dem Vertrag, der in den Panama Papers zu finden ist, einen US-Dollar. Für eine Firma mit Millionenwerten.
Eine Affäre um eine Offshore-Firma wäre schon bis hierhin für die meisten Regierungschefs unangenehm. Aber in Gunnlaugssons Fall wird der Kern seines politischen Wirkens durch die Offshore-Millionen infrage gestellt.
Sigmundur Gunnlaugssons Aufstieg begann nämlich in einer isländischen Graswurzelbewegung, die mit dem Zusammenbruch der drei Banken die Arena betrat: InDefence, was für „In Defence of Iceland“ stand. Einer ihrer Slogans lautete: „Icelanders are NOT terrorists“. Hintergrund dieses Slogans war eine umstrittene Reaktion der britischen Regierung auf die isländische Bankenpleite: Nachdem die kollabierte Landsbanki im Herbst 2008 verstaatlicht worden war, forderte Großbritannien Island auf, für die Einlagen der britischen Sparer zu bürgen. Die isländische Zentralbank weigerte sich, und Großbritannien versuchte, sich das Geld auf andere Weise wiederzuholen: Die britische Regierung fror – unter Einsatz von Gesetzen, die zur Terrorabwehr gedacht waren – kurzerhand isländische Werte ein.
Island: gerade noch strahlendes Nordlicht – nun auf einer Stufe mit al-Qaida.
Die 2009 ins Amt gewählte Mitte-links-Regierung versuchte sich an einem Kompromiss. Aber da auch dieser vorsah, dass Island für die Sparguthaben der Briten bürgen sollte, lief InDefence Sturm. Am Ende gab es drei Volksabstimmungen gegen das Vorhaben, und jedes Mal gewann das InDefence-Lager. Gunnlaugsson hatte sich als durchsetzungsstarker Vertreter scheinbar isländischer Interessen erwiesen.
Ein klassischer Interessenskonflikt
Den Umstand, dass seine Familie Millionen-Anleihen bei den drei Banken besaß, habe Gunnlaugsson seinen InDefence-Mitstreitern verschwiegen, sagen Insider. Der Premierminister sagt, die von ihm mit vertretene InDefence-Politik habe das Wintris-Vermögen ja geschmälert, weil er dafür eingetreten sei, dass Anleihen nachrangig zu Spareinlagen behandelt würden.Gunnlaugsson legte diese Interessen auch nicht offen, als er 2013 ins Amt des Premierministers gewählt wurde. Obwohl er in dieser Position zwangsläufig in Entscheidungen involviert war, die auch die Gläubigerinteressen betrafen.
Erst im vergangenen Jahr ließ sich Gunnlaugssons Regierung auf einen umstrittenen Deal ein. Bis dahin galt als ausgemacht, dass Gläubiger, die ihr Geld aus Island abzogen, eine 39-prozentige „Stabilitätssteuer“ zu bezahlen hätten. Stattdessen vereinbarte Gunnlaugsson einen „Stabilitätsbeitrag“ aus dem verbliebenen Vermögen der verstaatlichten Banken, was nach Meinung von Experten mehr als zwei Milliarden Euro weniger in die Staatskassen bringen wird. Zwei Milliarden, die nun stattdessen an die Gläubiger gehen sollen. Auch an Wintris Inc., die Firma, die inzwischen seiner Frau alleine gehört. Gunnlaugsson war in gewisser Weise auf beiden Seiten des Verhandlungstisches involviert. Ein klassischer Interessenkonflikt.
Im März 2016 konfrontierten ein schwedischer und ein isländischer TV-Journalist, Partner der SZ bei dieser Recherche, den Premierminister in einem Interview mit der Briefkastenfirma:
Ein paar Tage später schrieb seine Frau in einem Facebook-Eintrag, Wintris sei allein ihre Firma, die sie von Anfang an steuerlich deklariert habe. Dass Gunnlaugsson als Anteilseigner eingetragen wurde, sei ein Fehler der Bank gewesen. Als sie Ende 2009 ihre Hochzeit für Herbst 2010 vorbereitet hätten, sei ihnen der Fehler aufgefallen, und sie hätten ihn korrigiert.
Ein Fehler der Bank? Das bezweifelt der Landsbanki-Mitarbeiter, der im November 2007 die beiden Namen an Mossack Fonseca weitergegeben hat. Es sei „hochgradig unwahrscheinlich“, dass die Bank aus Versehen einen falschen Namen als Eigentümer und Vollmachtsinhaber eingetragen habe, sagte er der SZ.
Der „Fall Gunnlaugsson“ wird zum Politikum
Gunnlaugsson selbst erklärt auf Anfrage, er habe damals schon ein gemeinsames Konto mit seiner späteren Frau gehabt, deswegen seien die Anteilsscheine auf beide ausgestellt worden. Es sei aber klar gewesen, dass die Firma seiner Frau gehöre. Isländische Banken hätten wohlhabenden Kunden damals oft derartige Offshore-Konstruktionen angeboten. Da seine Frau das Vermögen aber versteuert habe, sei Wintris sozusagen „nicht in einer Steueroase“ und „könne auch nicht als Offshore-Firma betrachtet werden“.Nachdem isländische Medien den Facebook-Eintrag von Anna Sigurlaug Pálsdóttir aufgegriffen haben, ist der „Fall Gunnlaugsson“ zum Politikum geworden, noch bevor die Panama Papers das wahre Ausmaß gezeigt hatten. Die Opposition fordert seinen Rücktritt und Neuwahlen, eine Zeitung kommentiert, dies sei einer der „schwersten Vertrauensbrüche“ der Parlamentsgeschichte.
Am letzten Sitzungstag vor den Osterferien ist Gunnlaugsson nicht im Parlament anwesend. Bjarni Benediktsson, Finanzminister und Vorsitzender von Gunnlaugssons Koalitionspartner, erklärt den Abgeordneten, von der Firma des Premiers nichts gewusst zu haben.
Benediktsson, der aus einer der reichsten Familien des Landes stammt, erwähnt nicht, dass auch er längst eine SZ-Anfrage zu seiner eigenen Offshore-Firma hat: Er hielt, das hat er später auf eben diese Anfrage hin bestätigt, 33 Prozent an der Briefkastenfirma Falson & Co., gegründet 2005 auf den Seychellen.
Die Firma war laut Dokumenten, die Benediktsson der SZ vorlegte, bis mindestens Ende 2009 aktiv und für einen Immobilienkauf in Dubai gegründet worden. Auch Benediktsson war 2009 Abgeordneter – und hätte die Firma melden müssen.
In einem Fernsehinterview hat Benediktsson 2015 erklärt: „Ich hatte noch nie Vermögen in Steueroasen oder irgend so etwas.“ Auf Nachfrage sagt Benediktsson nun, ihm sei „nicht bewusst“ gewesen, dass die Firma auf den Seychellen registriert gewesen sei – die Firma sei aber steuerlich gemeldet gewesen.
Innenministerin Ólöf Nordal, die laut den Unterlagen gemeinsam mit ihrem Mann eine Vollmacht für die Panama-Firma Dooley Securities S.A. hatte, erklärt, die Firma sei für ihren Ehemann gegründet, aber nie benutzt worden. Deswegen habe sie die Firma nicht gemeldet.
Der Geschäftsführer von Gunnlaugssons Fortschrittspartei, Hrólfur Ölvisson, sagt, die mit ihm laut Panama Papers verbundenen Firmen seien lange inaktiv gewesen, alles sei legal.
Die Enthüllungen in Island haben eine besondere Pointe: Isländische Steuerfahnder haben im Sommer 2015 von einem Whistleblower interne Mossfon-Daten erworben. Es handelt sich um Material zu etwa 250 Firmen. Darunter: Wintris Inc, Falson & Co. und Dooley Securities S.A. Das Angebot für den Kauf der Daten wurde damals in Island öffentlich diskutiert. Finanzminister Benediktsson sagte, es sei „vollkommen undenkbar“, dafür „einen Koffer voll Geld an eine anonyme Person“ zu geben. Premier Gunnlaugsson sagte in Bezug auf die Offshore-Daten, es sei „unklar, ob sie realistisch und nützlich“ seien.
Dazu erklären Benediktsson und Gunnlaugsson heute, sie seien immer für den Ankauf der Daten gewesen.
An diesem Montag enden in Island die Osterferien des Parlaments. Das Thema des ersten Sitzungstages dürfte bereits gesetzt sein.
Mitarbeit: Jóhannes Kr. Kristjánsson, Ryan Chittum